Modesty Blaise 10: Der Xanadu-Talisman
haben Saugnäpfe an ihren Fangarmen und –«
»Wielie, bitte hör einen Moment auf, das zu machen. Es ist köstlich, aber es hindert mich am Denken.
Was ist mit deinen Handgelenken? Sie schauen auch furchtbar aus.«
»Ich hab mich hinuntergebeugt, um meine Beine zu befreien, und dieser Oktopus erwischte mich mit zwei anderen Fangarmen an den Handgelenken.«
Sie erschauerte. »Mein Gott! Ich hätte solche Angst.«
»Die hatte ich auch. Aber jetzt ist alles vorüber.«
»Nein, warte, Wielie. Wie hast du dich befreit?«
»Das ist schwer zu beschreiben. Ich hab mit dem Tier gekämpft, und es hat sich verfangen. Nimm an, du bist der Oktopus. Dreh dich ein wenig hinüber. So, das ist gut. Jetzt hältst du meine Fußgelenke, nicht dort, wo sie sind, sondern darüber. Für die anderen zwei Fangarme musst du deine Beine benutzen, und du kannst mich mit den Füßen nicht festhalten, also werde ich dich packen, als ob du meine Handgelenke hieltest.
Gut?«
»Ich glaube. Was geschah dann?«
»Lass mich nachdenken. Ich drehte mich irgendwie so, ich legte ein Bein hier hinüber … nein, warte, ich muss das überlegen.«
»Jetzt bin ich ganz verfangen. Oooh! Wielie, so können wir nicht überlegen. So ist es … so ist es … sehr hübsch. Bitte, vergiss jetzt den Oktopus, Wielie …«
Später sagte sie schläfrig an seiner Schulter: »Ich finde es fabelhaft, dass du so gut mit mir schlafen kannst, wo du doch heute ein so schlimmes Erlebnis mit dem Oktopus hattest.«
»Wenn man etwas Schlimmes erlebt hat, ist es umso besser. Man schätzt es mehr.«
»Wirst du nächsten Donnerstag noch hier sein, Wielie? Oder in Cannes?«
»Nein, leider nicht, mein Schatz. Da bin ich schon fort.«
»Vielleicht kann ich einen Flug nach London bekommen und dich dort treffen.«
»Fein. Aber warte noch ein wenig, weil ich noch nicht nach Hause fahre.«
»Wohin fährst du? Bestimmt irgendwohin, um ein anderes Mädchen zu treffen.«
»Nein, es sind Geschäfte. Ich fahre nach Korsika, um mit einem Bäcker zu sprechen.«
Sie lachte verschlafen. »Du erzählst immer so groooße Lügen, Wielie.«
8
Die kleine Bäckerei lag in einer Seitengasse, die sich über die halbe Breite der schmalen, einen Kilometer langen Halbinsel erstreckte und in die kleine Stadt Bonifacio führte. Im Wohnraum war es sehr heiß, weil er neben den Backöfen lag, und in dem kleinen Hof, in dem Henri Martel und Modesty Blaise saßen, war die Morgenluft von der Sonne und der Backstube aufgeheizt. Der Bäcker trug einen dicken Pullover, denn fünfzig Jahre vor den Backöfen hatten sein Blut verdünnt.
Sie saßen auf zwei Klappstühlen gegenüber einer weißgekalkten Wand, an der sich eine kümmerliche Rebe emporzuranken versuchte. Zwischen ihnen stand ein wackliger Tisch mit zwei Gläsern Pernod. Henri Martel war ein stiller Mann mit einem birnenförmigen Körper, einem Mondgesicht und traurigen Augen. Mit seinen Söhnen hatte er wenig Ähnlichkeit. Wie die meisten Bewohner von Bonifacio sprach er für gewöhnlich Genueser Dialekt. Die Genuesen waren erst vor zweihundert Jahren von der Insel vertrieben worden, und die Leute von Bonifacio übereilten sich nicht, korsische Sitten anzunehmen.
In diesem Augenblick sprach Martel ein recht gutes Englisch mit einer Mischung aus ausländischem Akzent und Devonshire-Tonfall, den er von den Kameraden in der britischen Marine übernommen hatte. Der Gebrauch von Ausdrücken aus dieser Gegend gab seinen Worten eine zusätzliche Eigenart. »Ich bekam das Telegramm von M’sieu Casanova vor zwei Tagen, Mam’selle«, sagte er mit müdem Achselzucken. »Armer Georges. Aber ich weiß, dass das jederzeit passieren kann. Als Kind war er ein ordentlicher kleiner Kerl, später wurde er ein Tunichtgut.«
Während des Fluges von Nizza hatte Willie vorgeschlagen, dass Modesty lieber mit dem alten Mann allein sprechen solle. Zuerst war sie nicht so sicher gewesen, aber jetzt war sie froh darüber. Martel sprach frei von der Leber weg, doch sie spürte, dass zwei Menschen zu viel gewesen wären. Es hätte ihn nervös gemacht, und Zurückhaltung wäre die Folge gewesen.
»Georges ist schon lang für mich verloren«, sagte er.
»Er kam nicht einmal zum Begräbnis seiner Mutter nach Hause. Aber Bernard. Er war ein braver Junge.
Ein guter Soldat mit einer schönen Karriere.« Er schüttelte den Kopf. »Dann hat er alles hingeschmissen, und nur wegen dieser dummen Kuh.«
Modesty nahm einen Schluck Pernod und sagte:
»Wegen seiner
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