Modesty Blaise 12: Die Lady läßt es blitzen
die aber vom Eingang recht weit in das Felseninnere reichte, von wo sie das Rauschen des Meeres hörte. Eine Spur von Grau in der Dunkelheit bestätigte ihr, daß die Morgendämmerung herannahte. Ihre Handgelenke waren wundgerieben, aber sonst schien sie unverletzt. Willie lag neben ihr, und sein Hemd fühlte sich unter ihrer Hand ein wenig feucht an. Sie tastete in der Dunkelheit nach seiner Wange und fragte verwundert: »Was zum Teufel ist geschehen, Willie? Und wo sind wir?«
»Es gab eine kleine Intervention von oben, Prinzessin«, antwortete er. »Hast du die Nachricht für Weng rausgebracht, Steve und Dinah zu bewachen?«
Sie dachte einen Augenblick nach und erwiderte dann: »Ja ….ja, die hab ich rausgebracht. Ach, zuerst hab ich Axel Valerius davor gewarnt, den Treffpunkt einzuhalten, da er zufällig gerade in der Leitung war. Ja … dann habe ich Weng aufgeweckt, und er bestätigte die Anweisung, Steve und Dinah unter Bewachung zu stellen. Aber sonst kann ich mich an nichts mehr erinnern. Was hast du mit Intervention von oben gemeint?«
»Du bist vom Blitz getroffen worden. Oder genauer gesagt, das Funkgerät, und du hast die Auswirkung davon zu spüren bekommen.«
»Blitz?«
»Ja. Ich hab dich eine halbe Minute später auf dem Boden gefunden, und du warst bewußtlos. Aber ich hab die Pumpe wieder in Gang gebracht. Das Atmen auch, nur hat das etwas länger gedauert. Dann ist die Waffenkammer in die Luft geflogen, und ich mußte uns ein wenig überstürzt rausbringen.«
»Mein Gott …«, murmelte sie und ließ den Kopf wieder an seine Schulter sinken. »Und wo sind wir jetzt?«
»In einer Höhle am Fuße der Klippe auf der Südseite. Hier gibt’s kaum Strand und keinen Zugang, also werden sie uns nicht finden, wenn sie nicht mit dem Boot kommen.«
»Du bist
hinuntergeklettert?
Und hast mich dabei getragen?«
»Ich hab dich mit Streifen von der Decke am Rücken festgebunden. Wir müßten hier für eine Weile sicher sein, Prinzessin. Ich nehme nicht an, daß sie es für möglich halten, wir könnten hier heruntergegangen sein.«
»Das nehme ich auch nicht an«, sagte sie und schmiegte die Hand an seine Wange. »Danke, Willielieb. Jetzt erzähl mir alles.«
Er faßte die Ereignisse der Nacht kurz zusammen und begründete die Schritte, die er unternommen hatte. Der Abstieg über die Klippen fand kaum Erwähnung, aber sie konnte sich das Ausmaß der Qual leicht vorstellen. »Wir haben deine Star Automatik, eine Uzi mit drei Magazinen und zwei Handgranaten«, sagte er.
»Das ist alles, was ich mitnehmen konnte. Als wir erst einmal unten waren, hab ich diese Höhle ziemlich schnell gefunden. Dann hab ich dich ausgezogen, abgetrocknet und in die Decke gewickelt … und das war’s dann. Oh, ich hab nicht versucht, dich wieder auf Vordermann zu bringen. Ich hab das Gefühl gehabt, daß du es besser auf deine Weise tust, und ich hab recht gehabt. Ich habe befürchtet, du könntest durch den Blitz Verbrennungen erlitten haben. In deinen Kleidern hab ich eine Taschenlampe gefunden und dich untersucht.
Die Handgelenke sind ein bißchen aufgerieben, weil sie zusammengebunden waren, aber sonst konnte ich nichts entdecken.«
Sie tätschelte seine Wange und meinte: »Da ist auch nichts, Willie. Ich bin nur ein bißchen schwach auf den Beinen, aber sobald wir Bewegung machen, kommt das Adrenalin wieder in Schwung und ich fühl mich okay.«
Sie dachte ein paar Augenblicke nach, um die Lage abzuschätzen. Dann fragte sie: »Hast du schon irgendeinen Plan?«
»Keinen genauen, Prinzessin. Nachdem ich dich versorgt hatte, bin ich ein paar Schritte gegangen, um meine Kleider mehr oder weniger trocken zu bekommen. Die Luft draußen ist noch immer warm. Dann bin ich zurückgekommen und hab ein paar Stunden geschlafen. Bin erst ein paar Minuten vor dir aufgewacht. Ich hab nicht gewußt, wie lange du außer Gefecht sein würdest, deshalb konnte ich auch nichts Endgültiges planen. Ich glaube, es wird das beste sein, wenn wir den ganzen Tag hier liegen bleiben, dann hinaufklettern und in der Nacht versuchen, ein Boot zu erwischen.«
Nach einer Weile sagte sie: »Ja … aber wir sollten die Sache von ihrer Warte aus betrachten. Bei Tagesanbruch werden sie den Hafen und die Gebäude dort durchsuchen. Dann das Kloster. Anschließend werden sie mit ihrer Treibjagd auf der Insel beginnen. Wenn sie uns bis ungefähr mittag oder so in keinem der möglichen Verstecke gefunden haben, werden sie vielleicht damit beginnen, an
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