Modesty Blaise 12: Die Lady läßt es blitzen
Darf ich fragen, Mrs. Ram, ob einige, oder besser, alle Bewerber sich großzügig zeigen werden, wenn ihre Gebete erhört wurden?«
Sie warf einen Blick in ihre Notizen und sagte: »Ich glaube, daß das auf vier davon ganz bestimmt zutrifft.
Da ist zunächst eine sehr reiche religiöse Sekte, die ein gewisser südamerikanischer Staat verbieten möchte. Sie bitten uns um unsere Unterstützung im Gebet, damit diese Bedrohung von ihnen genommen werde. Analysen haben gezeigt, daß Beseitigung eines bestimmten Ministers in der Regierung besagten Landes gewünschten Effekt haben würde. Weiters liegt die Bitte des Präsidenten einer Inselrepublik in der Karibik vor, der nicht von politischen Gegnern gestürzt werden möchte. Ich bin sicher, daß er sich sehr dankbar zeigen würde. Darf ich hier einschieben, daß kaum merkliche Veränderung in den Quellen der Bitten für unsere Gebete darauf hindeutet, daß bestimmte Personen und Organisationen dahintergekommen sein dürften, daß zufriedenstellende Reaktion auf Gebete der Herberge der Rechtschaffenheit eher durch natürliche als durch übernatürliche Kräfte herbeigeführt werden. Gegenstand für Diskussion, denke ich. Um jedoch beim Thema zu bleiben, die dritte Bewerbung kommt aus dem Fernen Osten und –«
»Wenn«, meinte Thaddeus Pilgrim mit einer entschuldigenden Geste, »wenn Sie mir verzeihen wollen, daß ich Sie unterbreche, Mrs. Ram, ich glaube nicht, daß wir im Augenblick einen detaillierten Bericht von künftigen Kundenaufträgen benötigen. Die Arbeit für unseren Lebensunterhalt ist von beständiger Natur, und es will mir scheinen, wenn ich das, ohne übertrieben optimistisch zu sein, sagen darf, daß wir unverändert genügend Aufträge bei der Hand haben, um unsere Ausführungsorgane voll beschäftigen zu können. Daher bin ich bereit, die Auswahl der Kunden in Ihre bewährten Hände zu legen, liebe Dame, ebenso wie den – äh – Modus operandi, obwohl ich natürlich jederzeit für eine Diskussion zur Verfügung stehe, wenn Sie bezüglich Mittel und Wege das Bedürfnis nach Rat verspüren.«
Dr. Tyl dachte an einige der Mittel und Wege, die Thaddeus Pilgrim in den letzten Jahren ersonnen hatte.
Es gab keinen Zweifel, daß der Mann ein Genie war.
Ein böses Genie, wenn das Adjektiv irgendeine Bedeutung hatte, was Dr. Tyl bezweifelte. Begriffe wie Gut und Böse interessierten ihn nicht. Sein einziges Interesse lag darin, herauszufinden, bis zu welchem Grad es möglich war, ein anderes menschliches Wesen zu kontrollieren und zu beeinflussen. Wegen seiner gegen die Ethik verstoßenden, untragbaren Experimente auf diesem Gebiet war er aus seinem Berufsstand ausgeschlossen worden und schließlich bei Dr. Thaddeus Pilgrim gelandet, der solche Experimente unterstützte und förderte.
Die Tätigkeiten der Herberge der Rechtschaffenheit boten ein weites Feld für Dr. Tyls Arbeit. Hypnoseexperten beispielsweise behaupteten immer, eine Person unter Hypnose könne niemals eine Handlung begehen, die sie aus moralischen oder ethischen Gründen auch unter normalen Umständen nicht tun würde. Das stimmte wahrscheinlich. Man konnte nicht einfach einem Mann, der sich unter Hypnose befand, einen Revolver in die Hand drücken und ihm befehlen, jemanden umzubringen. Aber man konnte mittels Hypnose, oder in schwierigen Fällen durch eine Kombination aus Narkose und Hypnose, eine Vorstellung oder Halluzination bewirken, die einen Mann oder eine Frau sicherlich veranlassen würde, jemanden zu töten.
Man konnte beispielsweise eine visuelle Halluzination herbeiführen, durch die eine Frau in einen bestimmten Mann ein gräßliches Alptraummonster sah, und man konnte sie glauben machen, dieses Monster wolle ihr Kind umbringen. Das würde sämtliche moralische Barrieren außer Kraft setzen, und wenn sie die Möglichkeit hätte, würde sie, ohne zu zögern, töten. Es ging nur darum, den richtigen psychologischen Schlüssel zu finden, und Dr. Tyl war das schon zweimal mit großem Erfolg gelungen. Zwei Antragsteller hatten von der Herberge der Rechtschaffenheit eine positive Antwort auf ihre Bitte um Gebet erhalten, aber nicht durch Intervention der Gebetserhörungsabteilung, sondern durch die Hand unschuldiger Opfer von Dr. Tyls Gehirnwäsche.
Im Arbeitszimmer kam Mrs. Ram zu einem neuen Blatt auf ihrem Manuskripthalter. »Ich behandle nun das Hallelujah-Szenarium. Alle Teile dieser Operation werden in zufriedenstellender Weise von Mittelsmännern vorbereitet. Sie
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