Modesty Blaise 12: Die Lady läßt es blitzen
Abwärtsschwung zwischen seinen Beinen hindurch. Die Klinge bohrte sich in den acht Zentimeter breiten Zwischenraum zwischen Modestys Unterarm und ihren Körper.
El Cazador riß die Arme so stürmisch in die Höhe, daß die Silberknöpfe an seinem Kostüm klirrten, und schaute zu den vollbesetzten Sitzreihen rund um die Manege hinauf. Applaus brandete auf. Danny Chavasse saß mit Professor Steve Collier und dessen Frau Dinah in der ersten Reihe. Auf dem leeren Platz neben ihm war bis zur Pause Modesty gesessen. Dann hatte Georgi Gogol ihr eine Botschaft von Willie Garvin gebracht, die lautete, Molly Chen sei nicht zur Vorstellung erschienen, und ob Modesty so nett sei, für sie einzuspringen. Georgi Gogol war ein großer Mann mit schwarzgefärbtem Schnurrbart, starkem Akzent und einer Stimme, die vom vielen Schreien in seiner Funktion als Zirkusdirektor schon ganz heiser war. »Willie sagen, er können anderes Mädchen kriegen, Miss Blaise, aber er glauben, ihre Freunde vielleicht wollen, daß Sie sein Zielscheibe für ihn.«
Sie antwortete: »Das wollen sie bestimmt. Aber wissen Sie, warum Molly Chen aufgehalten wurde? Sie würde Ihre letzte Vorstellung bei Ihnen in dieser Saison sicher nicht gerne versäumen.«
Georgi Gogol zuckte die Achseln und setzte seinen Zylinder wieder auf. »Vielleicht Verkehrsstau, vielleicht Autopanne. Willie sagen, sie sehr hart arbeiten, um neue Wohnung schön herzurichten, also vielleicht sie auf Bett eingeschlafen.«
»So etwas wird es wohl sein. In Ordnung, Georgi.«
Als sie gehen wollte, war Collier gerade mit Eistüten zurückgekommen. »Ihr könnt von Glück reden, daß ihr die noch bekommt«, meinte er. »Ich war der einzige Erwachsene in der Schlange, und das ist einfach schrecklich. Als ob man im Meer mitten in ein Rudel Haie gerät. Ein großer Zehnjähriger hat mir mit seinem Ellbogen die Rippen gebrochen.«
Dinah erwiderte: »Wie gut, daß du so unerschrocken bist, Tiger. Ich habe eine gute Neuigkeit für dich: Modesty wird für Willie Zielscheibe spielen, du kannst also auch ihr Eis essen.«
Colliers Gesicht strahlte in hellster Freude, als er Modesty ansah. »Ich bin selig«, seufzte er glücklich.
»Aber wie steht’s mit dem Kostüm, Darling? Ich meine, Molly Chen ist eine halbe Portion, wie ich höre, und du bist ein muskulöses großes Frauenzimmer.«
Sie lachte und tätschelte seine Wange. »Mach dir keine Sorgen. Ich habe in Willies Wohnwagen ein Kostüm, das ich schon früher getragen habe.«
Als sie gegangen war, sagte Danny Chavasse: »Ich hoffe, du glaubst nicht einen Funken von dem, wie dein Mann Modesty geschildert hat – von wegen muskulöses großes Frauenzimmer, Dinah. Als ihr Langzeitverehrer muß ich sie sofort in Schutz nehmen.«
Dinah schleckte ihr Eis. »Für Steve sind Beleidigungen der Ausdruck von Zärtlichkeit. Keine Angst, Danny. Es hat schon recht viele gefährliche Gelegenheiten gegeben, bei denen ich mich fest an Modesty klammern mußte. Ich habe also ein ganz klares Bild von ihr.«
Zwanzig Minuten später traten »El Cazador und Conchita« unterhalb der Zirkuskapelle, die auf einem Podest über dem Eingang plaziert war, in die Manege, und von diesem Augenblick an konnte Collier nicht mehr zu lachen aufhören. Willie Garvins Kostüm war dermaßen überladen, daß es schon beinahe wie eine Parodie wirkte. Er hatte einen Schnurrbart aufgeklebt, der so lang war, daß er zu beiden Seiten des Mundes bis über das Kinn herunterhing, und seine blonden Haare unter einer schwarzen Perücke versteckt. Bei seinem Auftritt stolzierte er wie ein Pfau, schwang seinen Sombrero, breitete die Arme aus, als wolle er alle Zuschauer umarmen – mit einem Wort, der Schmierenkomödiant par excellence.
Neben ihm, hüpfend, knicksend und pirouettendrehend, Modesty in Netzstrümpfen und einem grüngoldenen Kostüm, das aus einem winzigen Rock und einem tiefdekolletierten Mieder bestand.
Es war eine kurze, nur fünf Minuten dauernde Nummer, die immer wieder von Trommelwirbeln und Gogols marktschreierischen Ankündigungen der nächsten Heldentaten El Cazadors unterbrochen wurde.
Messer durchlöcherten Äpfel in Modestys Händen oder kappten die Spitze einer Zigarette in ihrem Mund ab.
Zwischen jedem Wurf gab es viel Herumgehüpfe, Verbeugungen und Geknickse. Danny Chavasse schaute hingerissen zu und versuchte, diese beiden, diesen Mann und diese Frau, die zur Unterhaltung ihrer Freunde ein Divertimento zum besten gaben, mit der Mam’selle und Willie
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