Modesty Blaise 12: Die Lady läßt es blitzen
Klinge klirrten geräuschvoll gegen Schild oder Rüstung, so daß der Eindruck eines tödlichen Kampfes entstand.
Aber Dr. Tyl wußte, daß ein Experte auf diesem Gebiet, der er nicht war, erkennen konnte, daß Angriff und Gegenschlag nur dann mit voller Kraft ausgeführt wurden, wenn die Klingen auf die Rüstung trafen; sobald ein Schlag aber irgendeinen ungeschützten Teil des Körpers bedrohte, wurde er im letzten Moment zurückgehalten, und das Schwert verharrte weniger als einen Zentimeter vor dem Ziel. Es war wie beim Karate, bei dem die Schläge oder Stöße auch teilweise zurückgenommen wurden, bevor sie den Gegner trafen, nur mit dem Unterschied, daß hier weitaus genauere Berechnung und schnellere Reaktion erforderlich waren.
Tyl hatte Sibyl und Kazim schon bei mehreren ähnlichen Rollen in verschiedenen Kampfspielen beobachtet, die alle seiner Meinung nach genauso nutzlos waren wie die Wiederbelebung eines zweitausend Jahre alten Kampfstils, obwohl er widerwillig zugeben mußte, daß jede Übung zur Verbesserung der Reaktionsschnelligkeit und Stärkung der Muskeln wahrscheinlich irgend einen allgemeinen Nutzen haben würde. Er schaute zu dem Mann neben ihm, der dunkle Hosen und ein dunkles Hemd trug. Willie Garvin beobachtete das Training mit teilnahmsloser Miene. Jener Teil von ihm, der in der seltsamen Traumwelt lebte, in der er sich nun befand, war aus professionellen Gründen an der bemerkenswerten Demonstration von Fertigkeiten interessiert, in denen er selbst Experte war. Jener Teil von ihm, der in dem Glauben, Modesty Blaise sei tot, abgestorben war, konnte für nichts Interesse aufbringen und bestand nur aus manipulierten Absichten.
Dr. Tyl deutete auf die Kämpfer unten auf der Bühne und meinte: »Ziemlich gut, Willie, hm?«
Willie nickte. »Die sind mehr als ziemlich gut.«
»Erinnerst du dich nicht an sie? Sibyl Pray und Kazim?«
Er schüttelte langsam den Kopf und runzelte die Stirn. »Nein. Kann nicht behaupten, daß sie mir sympathisch waren, als sie neulich auftauchten.«
Tyl lächelte. »Das kommt von deinem Gedächtnisschwund, Willie. Deine Emotionen sind ein wenig durcheinandergeraten. Sie sind gute Freunde von dir, Sibyl und Kazim.«
Willie Garvin nickte teilnahmslos. Dann fragte er:
»Haben wir Delilah schon auf getrieben?«
»Wir sind nahe daran, Willie. Hab Geduld. Wir haben einen Mann in ihre Organisation eingeschleust, aber er muß sehr vorsichtig agieren.«
Auf der Bühne waren Sibyl und Kazim jeweils einen Schritt zurückgetreten und salutierten, um das Ende des Trainings zu signalisieren. Willie meinte: »Du mußt mir nur sagen, wo Delilah ist.«
»Das ist nicht der Weg, den Modesty eingeschlagen hätte«, antwortete Tyl mit Überzeugung. »Delilah ist gut abgeschirmt, Willie. Wenn du ihr auf ihrem eigenen Territorium gegenübertrittst, könnte es leicht sein, daß du tot bist, bevor du sie überhaupt zu Gesicht bekommst. Wir werden es so einrichten, daß sie zu dir kommt und ihr euch dann Aug in Aug gegenübersteht. Dann hast du deine Chance.«
Willie zuckte die Achseln. »Okay.«
Sibyl und Kazim kamen die Stufen heraufgeklettert.
Sie schwitzten, atmeten ein wenig schnell und sahen Willie mit einem Interesse an, das ihn stutzig gemacht hätte, wäre er ihnen gegenüber nicht völlig gleichgültig gewesen. Die Frau fragte: »Hat es dir gefallen, Willie?«
»Natürlich. Großartig.« Sein Benehmen war beinahe schon unhöflich. Er stand auf, runzelte die Stirn und fragte: »Was macht das Netz gerade? Welche Operationen haben wir laufen?«
Kazim legte eine Hand auf seinen Arm und sagte:
»Vergiß es, Willie. Darum kümmern wir uns. Du konzentrierst dich nur auf Delilah.«
»Klar. Werde ich machen, wenn ich die Chance bekomme.« Willie drehte sich um. »Ich geh jetzt schwimmen.«
Sie sahen ihm nach, während er die hohen Stufen des Amphitheaters hinunterstieg und auf dem Pfad verschwand, der zur kleinen sandigen Bucht führte. »Den mag ich nicht«, sagte Sibyl. »Es wäre eine großes Vergnügen, ihn zu töten.«
Kazim pflichtete ihr bei. »Das ist auch meine Meinung. Garvin hat eine Art, andere Leute zu ignorieren, die in höchstem Maße beleidigend ist.« Er sah Dr. Tyl fragend an. »Glauben Sie, daß er Dr. Pilgrims Szenarium zu einem befriedigendem Ende bringt und das Weib Blaise tötet?«
Tyl lächelte vergnügt. »Garvin ist die Zündladung, und Blaise selbst wird das Zündsignal sein. Wenn er mit seinen Messern schnell und genau ist, wird sie
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