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Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol: Kreuzberger Szenen (German Edition)

Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol: Kreuzberger Szenen (German Edition)

Titel: Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol: Kreuzberger Szenen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Bittermann
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er nicht immer tut, denn schließlich ist er nach einem literarischen Vorbild benannt worden, einer störrischen Ente, die in einem eheähnlichen Verhältnis mit einem Hundertjährigen lebt, der aus medizinischen Gründen seinen Whiskey selber herstellt und trinkt. Natürlich übersetzt von Harry Rowohlt.
    Der »Streitraum« der Schaubühne ist dunkel. Die Leute sind sehr ernst und erwartungsschwanger. Fup sitzt auf meinem Knie und beobachtet Michael Hardt. Fup hat eine Astronautenmütze auf. Nach fünf Minuten, in denen es immer noch nicht um die Liebe als politisches Konzept geht, fängt Fup an sich zu beschweren. Michael Hardt lässt sich dadurch nicht beirren. Ich schon.
    Ich gehe in das Schaubühnencafé. Dort trifft sich das alte Berlin, um Gemüsesuppe zu löffeln. Auch Herr Shakespeare & Company sitzt hier, allerdings ohne Company. Er trägt braunes Breitcord, von dem ich dachte, es sei zusammen mit den Sauriern ausgestorben, er hat die Arme wie der gekreuzigte Jesus ausgebreitet und hält so den Tagesspiegel . Ich bin astonished, denn ich dachte, Leute, die so ausladend die Zeitung halten, seien mindestens so ausgestorben wie braunes Breitcord.
    Ein kurzsichtiger Bettler humpelt zwischen den Tischen und hält sich die geschnorrten Münzen direkt vors Auge. Ein deprimierter Altkommunist mit Jeans-Jacke, auf die jeder Hells Angel neidisch wäre, verlässt mit wehendem Haar die Veranstaltung. Dass er deprimierter Altkommunist ist, kann ich zwar nicht belegen, denn er hat sich mir nicht vorgestellt und gesagt: »Ich bin deprimierter Altkommunist.« Aber ich habe ein Sensorium für deprimierte Altkommunisten, ein reines Bauchgefühl, wenn Sie so wollen.
    Nach zweieinhalb Stunden ist Michael Hardt fertig. Auch die Leute sehen fertig aus. Es scheint niemanden zu geben, der mit ihm einverstanden wäre. Alle sind irgendwie unzufrieden.
    »Ist die Liebe als politisches Konzept gescheitert?«, frage ich Fup. Fup gähnt.

Der schwule Horst
    Die Sonne scheint, es ist warm, und sofort zieht mich eine magische Kraft ins Freie, ins Café, hinaus ins mondäne Leben, das den Geschmack von Latte macchiato hat und zu dem so etwas Antikes gehört wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Aber auch wenn es hier im Kiez vor den Cafés Liegestühle gibt, wird es nicht richtig mondän. Man könnte genauso gut in einer Einkaufsmeile liegen, denn es joggt und radelt viel Publikum an einem vorbei. Aber die wenigen Liegestühle sind sowieso meistens besetzt, und auch wenn die Leute so tun, als sei es mondän, es sieht irgendwie unbequem aus.
    Ich sitze auf einem wackligen Holzstuhl des Souterrain-Cafés »Manouche«, das sein Mobiliar aus dem Sperrmüll zusammengesammelt und aus groben Holzbrettern zusammengezimmert hat. Es strahlt den liebenswürdigen und bekifften Charme eines Jugendzentrums aus. Hier sind Amateure aus Frankreich am Werk, die sich für alles sehr lange Zeit lassen, viel länger als in einem normalen Café, sogar für ein Getränk, bei dem man nur den Kronkorken zu entfernen braucht. Savoir vivre eben.
    Zwei Häuser weiter guckt Otto aus dem Fenster seiner Hochparterre-Wohnung. Er guckt da meistens raus. Dafür hat er sich schon ein Kissen aufs Fensterbrett gelegt, um seine Ellbogen weicher zu betten, die eine ziemliche Masse abstützen müssen. Der Mann ist ein Relikt aus dem alten Viertel, als es in der Straße noch kein Café gab, sondern nur einen Sanitärladen. Otto ist ein Gentrifizierungsgewinner, denn er hat heute viel mehr zu gucken als früher. Manchmal sieht man ihn auch draußen herumlaufen. Er hinkt und er schnauft. Manchmal quatscht er Nachbarn an, wie den schwulen Horst, der vor seinem Laden für alles sitzt.
    Otto schwenkt zwei Deutschlandfähnchen. »Was machst du denn da?«, fragt Horst mit Betonung auf dem Du, denn Horst gilt die Fähnchenschwenkerei. »Na, ick feire Jeburtstach, wa!« »Was denn? Du hast Geburtstag?« »Nö, icke doch nicht. Der Führer.«
    Tatsächlich, heute ist der 20. April. »Och, hör doch auf mit dem Scheiß«, sagt Horst. Tut Otto aber nicht. Wahrscheinlich ist er gar kein Nazi, sondern nur jemand, der das für einen guten Witz hält. Aber der kommt bei Horst nicht an: »Wenn du unbedingt was Braunes brauchst, kann ich dir auf deine Fahnen auch drauf scheißen«, sagt Horst.
    Dabei ist es tatsächlich ein guter Witz, mit Deutschlandfähnchen Hitlers Geburtstag zu begehen, denn davon wären weder die Deutschländer noch Herr Hitler begeistert, und dann noch von einem

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