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Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol: Kreuzberger Szenen (German Edition)

Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol: Kreuzberger Szenen (German Edition)

Titel: Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol: Kreuzberger Szenen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Bittermann
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sie wird immer unscheinbarer und unsichtbarer, und es sieht so aus, als ob sie sich bald auflösen würde.
    Furchterregend dagegen war ein völlig verwahrloster, zugewucherter und schmutzstarrender Jenseitiger, dem man schon von Weitem ansah, dass er ganz für sich allein auf diesem Planeten kochte, und der mit der Geschwindigkeit einer gehbehinderten Schildkröte dahinschlurfte, die Arme fest vor der Brust verschränkt, um die Kleiderfetzen, die auseinanderzufallen drohten, festzuhalten. Eine Figur wie von Charles Dickens erfunden. Einmal hielt er abrupt vor dem »Principe di Napoli«, dem Mittagstischitaliener im Viertel, inne und belferte mit rauem Befehlston von draußen in den Tresenraum »Kaffee!« Das war das einzige Wort, dass ich ihn je sprechen hörte. Erschrocken fielen mir die Cannelloni von der Gabel. Jetzt ist er weg. Einfach nicht mehr da.
    Nur die gebeugte Gestalt mit dem krummen Stecken winkt noch empört den Autos hinterher, während ich der papierenen kleinen Frau immer seltener begegne. Das Viertel ist ärmer geworden.
    Okay, es gibt noch die winzige Frau mit den großen Zahnlücken und den wirren Haaren, die ich manchmal bedenklich wackelnd im Zeitungskiosk antreffe, wenn sie sich mit Flachmännern und Zigaretten eindeckt. Sie wohnt Parterre direkt neben dem Kiosk, und wenn ihr das Geld ausgegangen ist, zischt sie mir Sonntag morgens beim Verlassen des Ladens hinterher. Ich drehe mich dann um und sie flüstert: »Kannste mir nen Euro pumpen? Kriegste auch echt wieder.« Ich gebe ihr dann ein bisschen mehr. Von einem Euro kriegt man schließlich keinen Flachmann und schon gar keine Schachtel Zigaretten.
    »Kriegste echt wieder«, versichert sie mir noch einmal durch die Zahnlücken hindurch.
    »Hat keine Eile«, sage ich.

Gottverdammte Teenies
    Als ich den dunklen Grenzbezirk mit meinen Cowboystiefeln durchquere und über die angetauten Eisplatten, den Kies, die Hundescheiße, die Pfützen eiere, in der Ferne das illuminierte O2-Raumschiff, da beschleicht mich ein ungutes Gefühl. Kann es sein, dass ich hier völlig verkehrt bin? Grundgütiger Himmel, denke ich, hier treiben sich ja nur gottverdammte Teenies herum! Was mache ich eigentlich hier? Die sind hier, um zu schwitzen, zu tanzen und die da oben auf der Bühne anzuhimmeln. Aber das kommt davon, wenn man nur die Musik hört, ohne sich wenigstens ein wenig für das Drumherum zu interessieren.
    Ich verdrücke mich in eine Ecke, rauche und versuche, in dem vor mir hin und her schwappenden Meer aus pummligen, hysterischen, schwerst parfümierten Mädchen mit großen Ohrringen nicht aufzufallen. Der Support Act heißt Protokumpel, bestehend aus elektronisch zusammengefrickelten Geräuschen und zwei Springmäusen auf Koks. Die eine ist aus Moabit, die andere aus dem Wedding. Sie brüllen sinnloses Zeug ins Mikrophon und wollen ein Kind, dabei zeigen sie ins Publikum. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass jemand vor der Bühne das auch will, denn die Reaktion ist kühl, die Leute beäugen sie verwundert und denken wahrscheinlich, was sind das denn für welche? Jedenfalls würden sie das denken, wenn sie ich wären.
    Dann erscheint Jamie T. in einem Kapuzenshirt. Und die Pacemakers. Und Nebel. Der kleine Junge mit dem starken britischen Akzent ist 24. Auch er hüpft kreuz und quer wie ein Gummiball auf der Bühne herum und gibt alles für die Mädchen mit den großen Ohrringen, aber bei ihm sieht es ganz gut aus. Die Mädchen mit den großen Ohrringen achten nicht darauf, dass der hinreißende Song »Salvador« rappelt und scheppert wie eine aus Gründen der Langeweile eine mit Pflastersteinen gepflasterte Straße entlanggekickte verrostete Blechdose. Auf was sie achten, weiß ich allerdings auch nicht.
    Als Jamie T. zwischenmoderiert »I am here, you are here, we all are here« und den kreischenden Mädchen mit den großen Ohrringen choreographische Anweisungen gibt, stehle ich mich unauffällig davon. Dass ich hier bin, wusste ich auch schon vorher.
    Vor dem Tresen machen zwei abgefüllte Jungs wilde Verrenkungen und verschütten Bier. Sie geben ihr bestes, um so peinlich zu sein wie die Protokumpel.

In der Schaubühne
    Auf in die Schaubühne! Schaubühne? Fup sieht mich fragend an. Da spricht Michael Hardt über die Liebe als politisches Konzept, sage ich. Fup sieht mich entgeistert an. Ist nicht schlimm, beruhige ich ihn, denn er ist erst sieben Monate alt und man muss ihm alles erklären. Ausnahmsweise fügt er sich in sein Schicksal, was

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