Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol: Kreuzberger Szenen (German Edition)

Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol: Kreuzberger Szenen (German Edition)

Titel: Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol: Kreuzberger Szenen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Bittermann
Vom Netzwerk:
längst zur Unterschichtsangelegenheit geworden. Die Mittelschicht passt sich an und proletarisiert bewusstseinsmäßig im Laufe einer WM. Die Außenspiegelwärmer sind da ein Indiz, denn sie übernehmen die Funktion der gehäkelten Klorolle, die jeder von der Angst vor Inkontinenz geplagte Kleinbürger auf der Hutablage hatte.« »Aha«, kommentiere ich den Kommentar, ohne näher ins Detail zu gehen.
    In der rund um die Uhr geöffneten Unterschichtstrinkerkneipe »Ohne Ende« ist die schwere Beflaggung nun auch zu Ende. Jeder trägt wieder seine eigene Fahne vor sich her, denn außer ihr haben die Leute, die sich mit letzter Kraft am Tresen festhalten, nichts mehr.
    Zu Hause ruft mich Harry Rowohlt an. Früher hätte er immer »Arschloch« gebrüllt, wenn im Fernsehen Joschka Fischer aufgetaucht wäre, aber seit er einmal das Fenster offen hatte, hätte er festgestellt, dass er nicht allein ist, weshalb er sich umorientiert habe. Jetzt rufe er immer, wenn Jogi Löw im TV gezeigt wird: »Nasenpopler! Nasenpopler!«

Kunzelmanns Zahnlücken
    Der Platz vor der Kapelle des Dorotheen-Friedhofs ist mit den Restpersonen gefüllt, also den Leuten, die nicht mehr in die Kirche passen. Ein Mann gesellt sich zu uns. Er unterscheidet sich von den anderen, meist auch nicht gerade konventionell gekleideten Trauergästen sehr, also selbst vom baumwolligen Schlabberlook des umherschleichenden und ziemlich kleinen Rainer Langhans. Er trägt ein rosa Baseballkäppchen, eine sehr kurze Jeanshose, bei der man Angst hat, es könnte jeden Moment unten etwas hervorbaumeln, und merkwürdig um die Waden herum befestigte Sandalen. Ein Fritz Teufel mit Adventskranz auf dem Kopf muss den Leuten ähnlich absurd erschienen sein, aber der wird gerade zu Grabe getragen.
    Der Mann schleppt einen Rucksack und ein paar Einkaufstüten, die er an einem Baum abstellt, und als nach der Grabrede Ströbeles, die die neben mir stehende Nadja unüberhörbar als »Oh nein, ist der Typ öde!« kommentiert, ein Song von Dylan aus einer altersschwachen Anlage über den Hof krächzt, da versucht der Mann mit dem exotischen Outfit mit einer Ratsche ein bisschen mehr Rhythmus und Schwung in die traurige Angelegenheit zu bringen.
    Ein Friedhofswächter sieht bereits die Friedhofsruhe gestört und fordert ihn auf, sich vom Friedhofsacker zu machen, aber das wäre auf der Beerdigung von Fritz Teufel doch etwas unpassend. Ein zehnjähriges Mädchen unterhält sich mit dem Mann über die großen Zahnlücken, die beide haben. Und nicht nur die beiden. Dieter Kunzelmann allerdings hat noch alle Zähne. Dachte ich, doch dann schiebt er sie nach vorne. Als Kind beeindruckte mich mein Großvater damit, inzwischen weiß ich natürlich mehr.
    Kunzelmann begrüßt mich mit »Ah, dää Väälechää!« Ich will gerade vor ihm niederknien wegen seines Bamberger Dialekts, den er so dehnt, dass man sich zwischen den Vokalen ein Bier holen könnte, als Bild von uns Fotos macht. Nicht Bild persönlich natürlich, sondern ein Fotograf von Bild . Deshalb gebe ich das Vorhaben schnell wieder auf. Leider. Der Fotograf fragt mich nach meinem Namen. Natürlich sagt er ihm nichts, und deshalb hoffe ich, dass er ihn googelt. Dann steht morgen in Bild unter dem Foto: »Hier kniet der CSU-Politiker aus dem Landkreis Main-Spessart Klaus Bittermann auf der Beerdigung Fritz Teufels vor dem Kommunarden Kunzelmann.« Das könnte den Revoluzzer Kunzelmann durchaus in Erklärungsnot und einige Male dazu bringen, sein Gebiss nach vorne zu schieben.

Kollektivbestrafung
    Die Männer mit den knallroten T-Shirts, auf denen hinten »Sicherheit« steht, sind die einzigen, die im Schwimmbeckenbereich des Prinzenbads mit Turnschuhen herumlaufen dürfen. Um dieses Privileg werden sie von vielen beneidet, die es den Sicherheitsleuten nachmachen, aber aufpassen müssen, nicht erwischt zu werden. Ich weiß nicht, ob die Sicherheit sich viel um die Sicherheit kümmert. Meistens lümmelt sie im Eingangsbereich herum und wünscht einem »einen schönen Tag noch«. Das muss ich mir schon ständig von jeder Supermarktkassiererin anhören, jetzt auch noch hier, denke ich.
    Ein kleiner Junge zerschmettert eine Flasche neben dem Babybecken. Es dauert ein wenig, bis ein knallroter Sicherheitsmensch auftaucht. Der sagt dann seinen Kollegen Bescheid, die wiederum ins Walkie-Talkie sprechen, woraufhin ein Bademeister kommt, die Lage inspiziert, um dann einen Besen mit Schaufel zu holen. Nachdem die Scherben weggekehrt sind

Weitere Kostenlose Bücher