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Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol: Kreuzberger Szenen (German Edition)

Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol: Kreuzberger Szenen (German Edition)

Titel: Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol: Kreuzberger Szenen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Bittermann
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gekickt hat. Was man hier aber auch alles erklären muss). Haben wir. Allerdings muss ich zugeben, dass nicht Del Piero das Trikot durchgeschwitzt hat, sondern ich dafür eingesprungen bin.
    Die Podiumsdiskussionsleiterin mit restjugoslawischem Migrationshintergrund hat einen schwarzrotgoldenen Kuchen mitgebracht und fragt die Podiumsdiskussionsteilnehmer, ob sie davon essen würden. Jeder weist das Ansinnen empört zurück. Wäre ja auch das Letzte.
    Nach der Podiumsdiskussion schneidet die Podiumsdiskussionsleiterin den Kuchen in Scheiben. Ich sage, an der lieblosen Machart des Kuchens könne man das lieblose Verhältnis der Deutschen zu ihrer Nation und dem Nationalismus ablesen.
    Dann machen wir uns über den Kuchen her unter dem Vorwand, Deutschland symbolisch aufzuessen. Es wäre weg und könnte auch nicht mehr gewinnen. Aber unser Einsatz wird nicht belohnt. Deutschland gewinnt und steht jetzt gegen England im Achtelfinale.

Ein Fall für Freud
    »Dich berührt einfach nichts, du lässt nichts an dich ran … Und außerdem hast du mich schon in der ersten Woche angelogen!«, sagt sie. »Oh«, denke ich, das hört sich nach Seifenoper an. Sie trägt eine dunkle Sonnenbrille. Ihr gegenüber sitze nicht ich, sondern da sitzt ein anderer Mann.
    Puuuh, Glück gehabt! Der andere Mann hat keine Sonnenbrille auf, aber er ist unrasiert und isst Kartoffeln. Er brummelt etwas in seine Bartstoppeln hinein und gibt ihr eine Spargelstange. Eine Spargelstange ist nicht viel. Sie knabbert lustlos an ihr herum. Sie macht ihm erneut Vorwürfe. Ich muss sie mir anhören, weil ich am Tisch daneben sitze und mir schon eine große Spargelstange in die Ohren tun müsste, was ich aber nicht tue, weil mich Beziehungsdramen faszinieren.
    Das ist eben das Leben. Da wird aus dem Schützengraben gefeuert, was das Zeug hält. Tragödie, Intrige, Hass, Eifersucht, Leidenschaft, Messerwetzen … und diese Dramen haben einen hohen Wiedererkennungseffekt.
    Er hört auf zu essen und lässt den halben Teller zurückgehen, d.h. die Hälfte des Essens natürlich, nicht den halben Teller. Sie macht ihm auch Vorwürfe deswegen, obwohl er ihr vorher noch eine zweite Spargelstange und Kartoffeln angeboten hatte.
    Das Handy klingelt.
    »Papi, Papi«, ruft die Frau aufgeregt. Dann schluchzt sie. Huch, denke ich. Sie reißt sich zusammen. »Ich hör dich so schlecht … Wo bist du? … Jaja, mir geht’s gut … Nein, es ist wirklich alles okay … Und dir? Geht’s dir auch gut? … Ja, Papi, ich freu mich ganz toll für dich … Ja, Papi, ich liebe dich auch … Ja, Papi, bis ganz bald«, sagt sie, mühsam die Tränen unterdrückend. Sie legt auf. Wieder schluchzt sie leise. Mister Fup horcht bei »Papi-Papi« auf, lässt das Ganze aber unkommentiert.
    Sigmund Freud aber würde vor Freude im Dreieck springen. Wann hat man denn schon mal so einen klassischen Fall? Der Mann starrt regungslos ins Nichts. Sieht so aus, als ob er ein kleines Problem hat. Seine Chancen stehen nicht gut. Auf der anderen Seite … Wenn mich meine Tochter so verehrte, das gefiele mir ziemlich gut. Da wäre mir Freud aber sowas von egal.

Resteposten
    Ich recherchiere nach der WM 2010, was aus den vielen schwarzrotgoldenen Fähnchen wurde. Bei Karstadt am Hermannplatz stehen sie noch dutzendweise herum und lugen irgendwie traurig und schlaff aus einem Ständer heraus. »Resteposten«, sagt die Verkäuferin. Sieht so aus, als würden sie im Ramsch landen, vielleicht sogar im Reißwolf oder auf einer Sondermülldeponie. Biologisch abbaubar sind sie jedenfalls nicht. Auch die Berliner Autobahn ist ein beliebter Ort der Fähnchenentsorgung, was mich an Haustiere erinnert, vor allem Hunde, die von den Besitzern ebenfalls dort ausgesetzt werden, weil man ihrer irgendwann überdrüssig wurde, so wie die Fähnchen irgendwann sogar den Deutschlandlastigen lästig werden. Im Prinzenbad ist die Fahne ebenfalls verschwunden. Ich wette, ordentlich gefaltet.
    Ich befrage einen arbeitslosen Soziologen, von denen es hier viele gibt: »Komisch ist es schon«, sagt er. »Begründet wurde die bei der WM 2006 aufkommende Fähnchenhysterie ja damit, dass man endlich so normal werden wolle wie alle anderen Nationen auch. Alle anderen Nationen aber würden nie auf diese Schnapsidee kommen, denn die wollen nicht normal, sondern selbstverständlich etwas Besonderes sein.« Das leuchtet mir ein. Kein Wunder, denn die befragte Person bin ich selbst. »Außerdem«, sagt der Soziologe, »Fußball ist

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