Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol: Kreuzberger Szenen (German Edition)
Stimme von Norman Bates in »Psycho«: »Hier, Vater, noch ein besonders hartnäckiger und resistenter Virus. Der wird dir den Rest geben.« Und meistens hat er damit auch recht.
Eine zerzauste Frau mit mehr östlichem als südlichem migrantischen Hintergrund kommt ins Wartezimmer und setzt sich neben mich. Sie zieht einen kleinen Jungen hinter sich her und aus ihrer Tasche einen Brief, reißt ihn auf, gibt ihn mir und sagt: »Hier du lesen. Was da stehen?« Dabei knufft sie mich in die Seite, als ich etwas zögerlich das Papier in die Hand nehme. Dies ist ein Befehl. Widerstand zwecklos.
Es handelt sich um ein offizielles Schreiben vom Amt. Das Amt schreibt, dass die Frau 30 Tage in Erzwingungshaft zu gehen habe. »Sie müssen ins Gefängnis«, sage ich konsterniert. »Gefängnis? Welches Kind?« »Wieviel haben Sie denn?« »Vier.« »Nein, Sie müssen ins Gefängnis«, sage ich. »Ach so«, sagt sie und zuckt gleichgültig die Schultern. »Ist alles?« »Ist das nicht schlimm genug?« »Nicht schlimm«, sagt sie. »Was noch da stehen?« »Naja, Sie haben sich geweigert, Ihre Kinder in die Schule zu schicken, deshalb sollen Sie ins Gefängnis«, sage ich.
Statt angemessen verzweifelt zu sein, sagt sie wegwerfend »jaja« und gibt mir ein weiteres amtliches Schreiben auf Umweltpapier. Ich fasse das Bürokratendeutsch zusammen: »Sie müssen aus Ihrer Wohnung raus, weil sie zu groß ist«, teile ich ihr eine weitere Katastrophenmeldung mit.
»Egal, nehme ich kleine«, sagt sie. »Hier steht noch, Sie kriegen 700 Euro Wohnungsgeld«, sage ich. »700? Ist sicher?«, fragt sie. »Ja, das steht hier«, sage ich, auch wenn ich’s nicht verstehe. »Ist sicher?«, fragt sie nochmal und sehr nachdrücklich. »Ist sicher«, sage ich. Schließlich bin ich ja lernfähig.
Sie stopft die Briefe wieder in die Handtasche, steht auf und geht. So geht’s natürlich auch, denke ich.
Zuviel Fischfang
Schon früh habe ich Miss Trixie mit Fisch gefüttert. Der macht Kleinkinder angeblich klug, weil er irgendwelche Synapsen miteinander kurzschließt, und das soll gut sein. Sagt mein Bruder, und der muss es wissen, denn der ist Bio-Lehrer und kennt sich mit Synapsen aus. Man sieht dann alles mehr im Zusammenhang, und das war früher immer ganz wichtig: Man muss das im Zusammenhang sehen, hieß es, und dann sah ich meistens ziemlich alt aus, weil ich irgendwas mal wieder nicht im Zusammenhang gesehen hatte. Und dieses Schicksal wollte ich Miss Trixie ersparen.
Und was habe ich damit erreicht? Abgesehen davon, dass sie keinen Fisch mehr isst? Sie macht eine Zeitung, und der Aufmacher heißt: »Zuviel Fischfang«. Darin heißt es: »Fischfang wird von aussterbenden Fischarten manchmal schon verboten, Walfang ist eigentlich total verboten, aber Leute in Japan machen es immer noch. Wale sind deshalb auch vom Aussterben bedroht. Es gibt ja schon sehr viel Regeln, welche Fische man fangen darf und welche nicht, aber auch an die Regeln halten sich nicht alle. Man denkt eigentlich, wenn Fische in einem See aussterben, ist das nicht so schlimm, auch wenn kleine Würmer in einem See aussterben, ist es nicht so schlimm, aber eigentlich ist es ganz im Gegenteil so. Wenn kleine Würmer in einem See aussterben, dann sterben auch die Fische. Die Fische haben sich nämlich von den Würmern ernährt, und wenn die Fische tot sind, dann haben auch die Störche nichts mehr zu essen. Was man selbst dagegen tun kann: Auf keinen Fall Wal essen oder kaufen, und nicht jeden Tag Fisch essen. Bei den Eskimos ist es eine Tradition, Wal zu fangen und zu essen. Das darf allerdings so bleiben, sie würden ja sonst verhungern.«
Da hatten die Eskimos ja nochmal Glück.
Zur Sau gemacht
»Die Japaner sind doch total krank«, sagt Nadja. Ich fühle mich außerstande, ihr zu widersprechen. Das kommt davon, wenn man unbedingt auf die Weltpremiere eines japanischen Krimis gehen muss. Der Regisseur und die Hauptdarstellerin sehen beide aus, als seien sie noch minderjährig. Das macht mich skeptisch, weil ich glaube, dass man in diesem Alter noch herumexperimentiert und dann was sehr bemüht Avantgardistisches herauskommt, was ich mir nicht unbedingt ansehen will.
Die ersten eineinhalb Stunden bestätigen meine Befürchtung, denn trotz englischer Untertitel verstehe ich gar nichts, und das geht nicht nur mir so. Neben mir ist ein Holländer eingeschlafen und schnarcht. Ich kann das nicht, weil meine Füße weh tun. Ich habe zu kleine Schuhe an, aber seitdem ich
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