Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol: Kreuzberger Szenen (German Edition)
nicht für DIE PARTEI kandidieren wolle. Ich gebe zu bedenken, dass ich erst mal Mitglied werden sollte. »Ach, das ist nicht nötig. Hauptsache, du gewinnst die Wahlen nicht«, sagt Sonneborn. »Das kann ich garantieren«, versichere ich ihm. Aber 13 Prozent wie Kinky Friedman 2006 in Texas, das würde mir gefallen. Und Zwanzigtausend für die Wahl wären auch nicht schlecht. Dann würde ich Ihnen auch erzählen, was ich über Martin Walser nicht sagen darf. Obwohl, nein, ich glaube ich würde die Zwanzigtausend lieber behalten. Das, was ich über Walser erzählen könnte, ist sowieso nichts Neues. Jeder hat das schon mal gehört.
»Wir müssen erstmal zur Wahl zugelassen werden«, sagt Sonneborn. »Dann wird es wohl nichts mit den Zwanzigtausend?«, frage ich. »Ne, daraus wird nichts«, sagt Sonneborn.
Das Gesicht der Gentrifizierung
Im »Principe di Napoli« redet gerade Jan Liefers mit Engelszungen auf mich ein, wie er einen Roman aus meinem Verlag verfilmen würde, als ich von einer Gruppe wie aus dem Ei gepellter Jungmänner in akkurat sitzenden Anzügen, festgezurrten Schlipsen, windschnittigen Frisuren und hochglanzpolierten braunen Lederschuhen abgelenkt werde.
Was tun die hier, frage ich mich. Ich stehe auf, schnappe mir einen der »Gschpritzten«, wie man in Österreich sagen würde: »Was willst du hier, Fremder?«, frage ich. Naja, würde ich fragen, wenn ich ein Cowboy wäre und hier Cowboy-Land. Ist aber nicht. Hätte ich aber gefragt, hätte ich erfahren, dass es sich um Münchner »Immobilienhaie« handelt, die auf der Suche nach »Filetstücken« sind.
Das behaupten zwei KiezbewohnerInnen, die beim Bäcker in der Schlange vor mir stehen. »Hier haben ja zur Zeit alle Angst wegen der Gentrifizierung«, sagt die eine. »Meine Tochter schreibt gerade ihre Abiturarbeit über die Gentrifizierung des Graefekiez«, sagt die andere. Oh, denke ich, deshalb also die Fremden. Morgen, so erfahre ich aus dem Gespräch, das sich hinzieht wie die Schlange vor mir, findet eine »Kiezbegehung« statt.
Da muss ich hin, denke ich. Vor einem eher unattraktiven Haus in der Dieffenbachstraße verliest ein bärtiger »Kiezbegehungs«-Mann die klagende Anklage eines Anwohners. Ein Immobilienhai hat sich das Filet unter den Nagel gerissen. Es sieht allerdings noch genauso heruntergekommen wie vorher aus. Aber, so dräut es vielsagend in der Rede, wer weiß, was da noch alles passiert.
Da der Vortrag nicht wirklich spannend ist, verlasse ich die Gruppe und esse ein Pizzastück aus der Kanadischen Pizzeria. Dann mache ich mich auf den Weg nach Hause. Bevor ich um die nächste Häuserecke biege, frage ich mich, ob ich mir vielleicht doch Sorgen machen sollte, wenn die »Kiezbegehung« vor meinem Haus steht. Sie steht tatsächlich vor meinem Haus. Das glaub ich einfach nicht, denke ich.
Ich mische mich unauffällig unter die »Kiezbegeher«. Der Hausbesitzer hätte eine Wohnung renoviert und für das fast Dreifache vermietet, höre ich. Stimmt. Danach ist eine Kleinfamilie eingezogen. Ein großer Mann und eine nicht ganz so große Frau, ein großer Zottelhund und ein großes Auto, mit dem man auch über einen frisch gepflügten Acker fahren kann, wenn die Straßen verstopft sind und jeder gucken muss, wie er durchkommt, weil die Russen doch plötzlich angreifen, obwohl schon lange niemand mehr damit gerechnet hat, oder irgendeine Flüchtlingswelle über Berlin hereinschwappt, oder damit der große Hund reinpasst. So ein Auto.
So sieht die Gentrifizierung also aus, denke ich. Sie wohnt direkt über mir und ich hatte keine Ahnung. Sie ist freundlich und nett, viel freundlicher und netter als Frankenstein, der vorher da wohnte und den ich so nannte, weil er so aussah wie das von Doktor Frankenstein erschaffene Monster Boris Karloff und sich auch so benahm, und der eines Tages vor meiner Wohnungstür stand und »Paket« belferte, das die Post bei ihm für mich abgegeben hatte. Das war das einzige Wort, das wir in unserer 20-jährigen Nachbarschaft miteinander wechselten. Oder wie Frankensteins Vater Hinkebein, von dem ich immer wusste, wo er sich gerade befand, weil er wie Long John Silver mit einem Holzbein auf den Holzdielen tok tok tok machte.
Die Gentrifizierung ist nicht nur schlecht und fies, denke ich. Manchmal ist sie auch nett und freundlich.
Überfall auf Edeka
Der »Graefekiez« droht der Gentrifizierung zum Opfer zu fallen, und dann das: Die Milch ist aus. Um auf meiner Pavoni, dem Mercedes unter den
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