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Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol: Kreuzberger Szenen (German Edition)

Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol: Kreuzberger Szenen (German Edition)

Titel: Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol: Kreuzberger Szenen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Bittermann
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Kaffeemaschinen, einen Latte macchiato aufschäumen zu können, bleibt mir nichts anderes übrig, als schon am frühen Morgen Edeka aufzusuchen, was ich sonst zu vermeiden suche, weil um diese Zeit alle Berliner schlechte Laune haben, mit der sie allerdings den restlichen Tag auch nicht hinter dem Berg halten.
    Der türkische Kassierer zeigt einer Kundin mit einer nur rudimentär funktionierenden Fernbedienung etwas auf der Überwachungskamera, die über der Kasse hängt. Dabei sagt er: »Da … so, da gleich … na, das muss doch jetzt kommen … nein, aber … wo ist das denn.« Mir geht das ein wenig auf die Nerven, weil ich gerne zahlen und wieder in meine Höhle möchte. Die Frau betrachtet fasziniert den Bildschirm mit sechs verschiedenen Perspektiveinstellungen.
    Plötzlich huschen zwei Jungs mit Kapuzen in den Laden. Auf dem Bildschirm jetzt, nicht in echt. Also schon in echt, aber eben am Abend vorher kurz vor Ladenschluss. Sie tauchen auf einem weiteren Bildschirm vor der Wursttheke auf und veranstalten Hektik. Einer hat ein Messer, der andere eine Pistole, wie der Türke erklärt, weil man das nicht so genau sieht. Dann fliegt einer der Jungs auf einem anderen Bildschirm aus dem Laden. Ein Kunde hat ihn rausgeworfen, und draußen »hat der Chef ihm noch eins übergebraten«, sagt der Türke. »Ein Überfall?«, frage ich. »Jaja, ein Überfall«, sagt der Kassierer. Er ist begeistert.
    Ich hatte mir schon immer überlegt, zu was die Überwachungskameras gut sein sollen, denn ich würde darauf nicht mal meine Mutter erkennen, geschweige denn Sophia Loren. Jetzt weiß ich es: Die Aufnahmen sind sowas wie Urlaubsfotos. Im Unterschied zu denen machen die Überfallaufnahmen allerdings mehr her, auch wenn alles ganz schnell gegangen ist.
    Vielleicht ist das Viertel für eine anständige Gentrifizierung doch noch nicht reif, denke ich beim Milchaufschäumen. Ich meine, das ist ja wie in einem schlimmen Viertel in New York, in der Bronx, obwohl die Jungs hier noch ein bisschen üben müssen. Wahrscheinlich haben sie jetzt von ihrem peinlichen Auftritt, der womöglich auch noch auf Youtube gestellt wird, ein Trauma weg und werden deswegen mal üble Schläger und Knackis, denn wer einen Tante-Emma-Laden überfällt, der landet mit großer Sicherheit früher oder später im Knast.

Eene Woche keen Sex
    Ich sitze im Wartezimmer des Doktor Wieskerstrauß und warte. Außer mir warten noch ein paar andere. Unter anderem ein Mann mit Glatze und großer Gürtelschnalle. Neben ihm eine mopsige Frau mit üppigem Pferdeschwanz. Sie vertreiben sich die Zeit mit dem Durchblättern abgelaufener Magazine. Die beiden kommentieren für alle Anwesenden deutlich vernehmbar die Figur von Lady Gaga.
    »Keen Wunder, dass die sich so aufbrezeln muss, wa. Hat ja keene Möpse. An der is ja überhaupt gar nix dran«, sagt die doch sehr ins Mopsige tendierende Frau.
    »Und ‘n Arsch hatse ooch keen. Wat willste denn mit der anfangen?«, pflichtet ihr der Mann bei, bevor sie über die sekundären Geschlechtsmerkmale des nächsten Stars zu lästern beginnen. Immerhin Kriterien, nach denen beurteilt zu werden die meisten Stars sich redlich verdient haben.
    Dann wird der Mann aufgerufen. Als er nach zehn Minuten ins Wartezimmer zurückkommt platzt er gleich mit dem Befund heraus: »Der Arzt hat gesagt, wir dürfen keen Sex mehr haben.« Das sagt er zu seiner Frau, aber auch die anderen lässt er großzügig an dieser Neuigkeit teilhaben. Die Frau sagt so laut, als müssten sich beide neben einem Presslufthammer verständigen: »Wie? Keen Sex?« Der Mann sagt: »Hat der Arzt gesagt. Eene Woche keen Sex.« Dabei sieht er mich grinsend an. »Ne, det halt ich nicht aus«, sagt sie und sieht mich ebenfalls an, irgendwie anzüglich. »Na weeßte was? Dann machen wir halt ’n bisschen langsamer, wa, Schatz?« Sie zwinkert mir zu. »Geht ja ooch anders, wa?« Sie macht eine kleine Pause, während der sie mich anguckt, als wäre ich ein bisschen Plemplem, weil ich die Frage »Wie anders?« doch jetzt mal so langsam stellen müsste. Mir wird plötzlich sehr heiß und mir fällt ein, dass ich wegen meines kleinen Gebrechens nun wirklich keinen Arzt belästigen muss.

Gefängnis und 700 Euro
    Schon wieder beim Arzt. Der Winter ist hart und die Viren sind zahlreich, die unsere Virenschleuder aus dem Kinderladen mit nach Hause schleppt und fürsorglich an mich weitergibt. Könnte die Virenschleuder sprechen, würde sie vermutlich sagen, und zwar mit der

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