Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol: Kreuzberger Szenen (German Edition)
Revolution oder wenigstens mit ein paar Barrikaden, wenn man schon seinen guten Namen für eine Straße hergeben muss.
Im Laden riecht es zwar nicht nach Geschichte, aber streng. Genaugenommen nach Döner. Der Händler guckt in seinen Computer, ob er den Toner für einen Laserjet 5 MP da hat. Hat er nicht. Ob mein Drucker so selten sei, frage ich. Selten nicht, aber bevor er sich den Toner auf Lager legt, wo er »ein Jahr vor sich hin schimmelt«, das hätte »keinen Zopf«.
Eine Kundin betritt den Laden: »Riecht lecker hier«, sagt sie. »Lass mich raten: Bratkartoffeln!« »Chinapfanne«, sagt der Händler. »Lecker«, sagt die Frau noch einmal. Chinapfanne hätte sie auch genommen. Vielleicht bin ich hier in einem Imbiss gelandet, der auch Toner verkauft, aber nicht auf Lager hat. Aber ich sehe keinen Grill hier. Ich überlege, wenn ich schon keinen Toner bekomme, vielleicht sollte ich stattdessen Chinapfanne nehmen, die nach Döner riecht, und dabei ein bisschen dem Kapitalismus zugucken, wie er untergeht.
Alles schick
Die Frau, die an den Caféhaustisch neben den meinen tritt und dort Bekannte begrüßt, ist von Mitteilungsdrang beseelt. Alle im Umkreis eines geschätzten Quadratkilometers lässt sie an den Neuigkeiten teilhaben, die es in ihrem Leben gibt. Ich bewundere solche Menschen abgrundtief.
»Wir fahren jetzt raus auf unser Grundstück zum Barbecue. Da bauen wir ein Haus. Eins haben wir schon. In Hamburg. Und demnächst wird geheiratet.« Hört sich fast so an wie in der Werbung (»mein Haus, mein Auto, mein Mann«), weshalb ich mich verstohlen nach einer Kamera umsehe. Gibt aber keine, jedenfalls keine, die ich sehe. »Alles schick«, fügt die Frau noch hinzu, und das bringt mich ins Grübeln.
»Der Olli«, den sie von der anderen Straßenseite herüberwinkt, kann jedenfalls nicht gemeint sein, denn der trägt viertellange Hosen, Sandalen mit riesigem Fußbett, ein kariertes Freizeithemd und tendiert stark in die Breite, und das nicht nur in der Mitte. Und auch der Begriff »Olli« verträgt sich nicht mit schick, eher mit Dittrich, bzw. mit abgetragenem Bademantel. Ich glaube, früher sagte man statt »alles schick« »oder so«. Das ist zwar auch ziemlich überflüssig, klingt aber nicht so selbstzufrieden.
Die Frau teilt den zahlreichen Menschen an den Caféhaustischen noch mit, dass sie vier Jobs habe. Sollte das bei den Arbeitslosenzahlen nicht verboten sein, frage ich mich, aber dann lenke ich vor mir selbst ein und sage mir, dass vier Jobs eine angemessene Bestrafung sind. Dann denke ich wieder: Na, werden schon so Jobs sein. Irgendwas mit neuen Medien wahrscheinlich. Was Wichtiges eben. Olli hat auch vier Jobs, sagt die Frau noch. Sind schon acht. Und die heiraten jetzt. Alles schick. Oder so.
Ist die Gentrifizierung doch schon weiter fortgeschritten, als ich gedacht habe? Nicht ganz. Um die Ecke lauert der nichtsnutzige Biertrinker und trinkt Bier. Und das schon seit geraumer Zeit. Er tut sonst nichts. Sitzt nur da und trinkt Bier. Und raucht. Er hat nicht mal einen Job, und er will vermutlich auch gar keinen. Ob für ihn »alles schick« ist, weiß ich nicht, aber er sieht zufrieden aus. Er muss nicht aufs Land zu einem Barbecue.
Ulrike Meinhof
Vor dem Kreuzberg-Museum treffe ich meinen Lieblingsbuchhändler. Das ist jetzt kein großer Zufall, denn wir sind da verabredet. Allerdings im Museum zu einer Ausstellung, nicht vor dem Museum. Aber bei starken Rauchern kann man sich eigentlich gleich davor verabreden. Er ist gerade in ein Gespräch vertieft mit einem kleinen Mann, bei dem mir Karl Mays »Wurzelsepp« einfällt, aber nicht weil ich mich erinnern würde, was drin stand, sondern weil ein Porträt vorne auf dem Titel war. Oder Harry, aber bei dem weiß ich inzwischen gar nicht mehr so genau, ob er einen Bart hat oder gerade keinen. Außerdem hat Harrys Bart, wenn er mal einen hat, keine zwei Spitzen. Dieser schon, d.h. man kann mit jeder Hand einen Zipfel packen und dran ziehen, was ich aber nicht mache, obwohl der Bart dazu verführerisch einlädt.
Wegen der Haarwucherungen erkennt man vom Gesicht nicht viel mehr als vom Zwerg in »Der Herr der Ringe«. Aber der hier ist nicht so mürrisch. Er erzählt gerade, dass er mit »Jan« und »Holger« zusammen auf die Filmhochschule in Berlin gegangen sei. Einmal in der Woche kam auch »Ulrike« von Hamburg angeflogen. Ganz in Schwarz. Sie saß in der letzten Reihe und habe dabei eine Kippe nach der anderen geraucht. Danach sei
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