Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol: Kreuzberger Szenen (German Edition)
Einsatzfahrzeuge sind jeweils mit einer Frau mit einem Pferdeschwanz und einem Mann ohne Pferdeschwanz ausgestattet. Sie springen heraus und für einen Augenblick habe ich die Vision, sie würden mir Fup bringen, weil er aus dem Kinderladen abgehauen ist oder irgendwas angestellt hat, aber das ist natürlich Quatsch, denn auch wenn Fup bereits wegen fortgesetzter Renitenz und Plärrens aus einer Kita geflogen ist, er ist ja erst 18 Monate.
Die beiden Einsatzkräfte machen sich fünf Minuten lang an der Rückbank zu schaffen. Zum Vorschein kommt eine MP. Das letzte Mal, als ich diese kleinen handlichen Dinger sah, waren sie auf mich gerichtet, aber damals hatte ich noch eine Karriere als Staatsfeind vor mir, die sich dann aber zerschlagen hat.
Sie stürmen ins Nachbarhaus. Ich bin schon fest davon überzeugt, dass sie den letzten Querulanten abholen, der immer mit Mundschutz, einem kleinen Stecken, Anorak und Kaisers-Plastiktüte herumläuft und der in den gentrifizierten Bezirk passt wie ein Raucher auf den raucherfreien Spielplatz. Aber nach kurzer Zeit kommen die Einsatzkräfte wieder herausgestürmt, ohne irgendjemand in Handschellen abzuführen. Ich bin ein wenig enttäuscht. Die Einsatzkräfte stürmen ins nächste Haus. Wieder nichts.
Die MPs werden wieder unter der Rückbank verstaut. Das dauert wieder. Irgendetwas scheint zu klemmen. Inzwischen kommen Kinder vom raucherfreien Spielplatz herüber, umzingeln das Polizeiauto und fragen die Polizisten, ob sie Soldaten seien, weil sie ein Gewehr haben. Zur Belohnung dürfen sie das Blaulicht einschalten.
Berliner Frühling
Es muss mit dem ersten warmen Tag zu tun haben. Der eher verschlossene und mürrische Berliner taut dann auf und wird plötzlich redselig. Ich sitze im BVG-Bus auf dem Behindertenplatz vorne schräg hinter dem Fahrer und starre träumend ins vorbeiziehende Berlin, als mich völlig unerwartet eine Anrede trifft: »Na, sind ‘Se zufrieden? Alles okay so, wie ick fahre?«
Ich bin so erschrocken, dass ich panisch Zustimmung signalisiere, heftig mit dem Kopf nicke, ein breites Grinsen auflege und ein debiles »äh, jajajaja« brabble. Vielleicht will der Busfahrer testen, ob ich behindert und überhaupt berechtigt bin, auf dem Platz mit dem Panoramablick zu sitzen. Ich glaube, ich habe den Test bestanden, denn der Busfahrer lächelt, was sehr, sehr selten ist, fast so selten wie ein Raucher auf dem Kinderspielplatz vor meiner Tür.
Kaum habe ich den Bus verlassen, höre ich hinter mir eine erregte Stimme: »Hey Arschloch, willst du wissen, was mit dir los ist, Arschloch? Hör gut zu, Arschloch, du bist einfach das letzte, ja, Arschloch.« Whow, denke ich, denn die »Arschloch«-Dichte in seiner Suada ist sehr beeindruckend. Gleichzeitig bin ich erleichtert, dass nicht ich gemeint bin, denn als der Berliner mich überholt, spricht er in ein Handy.
In meiner Lieblingsbuchhandlung gehe ich mit meinem Lieblingsbuchhändler Jürgen vor die Buchhandelstür, damit er eine rauchen und ich ein wenig passivqualmen kann. Plötzlich sagt eine Frau im Vorbeigehen zu uns: »Stehen zwei Schwule zusammen und haben kein Geld.« Ich bin weniger von der plötzlichen Anrede überrascht, an die ich mittlerweile gewohnt bin, als vielmehr vom Inhalt der Aussage. Leider fällt mir auf die Schnelle nichts ein, was ich hätte antworten können.
Als mir nach ein paar quälend langen Minuten immer noch nichts eingefallen ist, gebe ich auf. Vielleicht hatte der Busfahrer ja recht mit seiner Vermutung, ich sei ein wenig behindert, aber eins ist mir klar: der Frühling ist ausgebrochen.
Der Untergang des Kapitalismus
Der Toner meines Laserjets 5 MP ist alle. MP wie Maschinenpistole, oder »Martha, Paula«, wie mein Computerhändler, der mir einen Toner besorgen soll, einem anderen Computerhändler ins Telefon buchstabiert, aber trotzdem alle. Ich klappere ein paar Geschäfte ab, bis ich schließlich zu »Tonerdumping« auf der Neuköllner Karl-Marx-Straße geschickt werde, wo ein Dumping-Geschäft neben dem anderen steht, was sich Karl Marx wahrscheinlich auch nicht hätte träumen lassen, obwohl diese aufgereihten Dumping-Geschäfte ja eigentlich vom Untergang des Kapitalismus zeugen, beziehungsweise von seinen letzten Zuckungen.
Aber trotzdem hätte Karl Marx bestimmt nichts gegen eine etwas repräsentativere Straße einzuwenden gehabt, eine mit etwas mehr Glamour, eine, in der noch der Atem der Geschichte zu riechen ist, vielleicht eine mit einer schönen
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