Moerder Im Gespensterwald
schüttelte den Kopf. »Wieso Doberan?«
»Sie sind noch nicht ganz da. Wir müssen nach Nienhagen.«
»Nach …? Ach, ja, zu der verrückten Alten.« Abermals gähnte er, diesmal aber mit der Hand vor dem Mund.
Nach einer Viertelstunde waren sie in der Münsterstadt, wo der Molli ihren Weg kreuzte, jene Kleinbahn, deren Pfeifen man im Nienhäger Holz hören konnte, bei Westwind wenigstens.
Manfred Kranbauers digitale Sammlung Finanzen hatte nichts Aufregendes enthalten, nicht einmal abgespeicherte Kontoauszüge, denn vom Online-Banking hatte Oliver seinen Vater nicht überzeugen können. Es fanden sich aber auch eine Menge leerer Ordner, die zeigten, dass der Senior experimentiert hatte. Irgendwann war es ihm gelungen, einem dieser Ordner einen Namen zu geben: das sehr ausgekochte Geheim . Während der Alte seine Funde verschlüsselt hatte, war er hier leichtfertig gewesen, aber er hatte sicher nicht damit gerechnet, dass jemand seinen Computer ausspionieren würde – und dann auch noch der eigene Sohn!
Unter Geheim fanden sich die drei Briefe an das Historiska museet sowie Aufzeichnungen über den Münzfund. Manfred Kranbauer eröffnete sie mit einem Zitat aus der Geschichte der Seestadt Wismar von Friedrich Techen, die sich laut Oliver im Bungalow befunden hatte und anscheinend verbrannt war: »Die Umgegend ist besonders reich an vorgeschichtlichen Denkmälern und Funden.« Diesem Satz schlossen sich einige gereizte Ausführungen darüber an, was mit solchen Funden wohl geschehen mochte, gerieten sie in die Hände staatlicher Autoritäten; der alte Kranbauer hatte seine Gier nach historischen Artefakten mit Moral getüncht, aber das war ja nichts Neues. Eines war aber klar: Er war auf Prähistorisches aus gewesen. Und so war er im Frühjahr mehrfach mit dem Bus nach Wismar gefahren, um in der Umgebung zu graben. Ob er dabei den Detektor mitgeschleppt hatte, blieb offen.
Die Münzen waren ein Zufallsfund. Aus unbekanntem Grund hatte er sich eines Tages entschlossen, sein Betätigungsfeld in die Stadt zu verlegen, die zwar auf der Weltkulturerbeliste stand, aber zugleich zu den Krisenregionen Deutschlands gezählt wurde. Vor einigen Jahren hatte man beschlossen, das Hafengebiet umzugestalten und aufzuwerten: Wenn schon Elend, dann sollte es wenigstens hübsch aussehen. Wie bei solchen Verschönerungen üblich, wurde auch eine Fressmeile geschaffen, und vielleicht hatte Kranbauer dort eine Mahlzeit eingenommen und sein Blick war auf die riesige Brache zwischen Altem und Werfthafen gefallen, die der Aufwertung noch harrte. Ob es nun Instinkt war oder Erfahrung oder einfach Aberwitz – Kranbauer war auf die Idee gekommen, dort zu graben. Er bastelte sich einen Ausweis des Landesamtes für Denkmalpflege, aus seiner Sicht die größte Versagerbehörde des Landes, klemmte ihn sich an die Brust und brachte sogar den Detektor zum Einsatz, und obwohl das Betreten des Geländes verboten und es zugleich völlig unglaubwürdig war, dass eine Einzelperson archäologische Voruntersuchungen durchführte, stellte sich ihm niemand in den Weg. Im Gegenteil, laut seinen Aufzeichnungen, die allerdings nur durch Oliver übermittelt wurden, führte er sogar Gespräche mit interessierten Beobachtern und erzählte ihnen das Blaue vom Himmel. Vermutlich weil sich niemand vorstellen konnte, dass jemand mitten in der Stadt Raubgrabungen vornahm, glaubte ihm sogar die Besatzung eines Streifenwagens. Kranbauer musste sehr überzeugend gewirkt haben, und er beeindruckte alle mit seinem Wissen. Und dann, eines Abends, fand er etwas, das er gar nicht gesucht hatte: den Hort.
Barbara passierte den China-Imbiss, aber niemand saß draußen. Nur noch wenige hundert Meter und sie hatten ihr Ziel erreicht.
Es zu finden, war nicht nur deshalb einfach, weil es sich an der Durchgangsstraße befand, sondern weil mehrere auffällige Fahrzeuge vor dem Grundstück parkten: zwei Streifenwagen und ein roter Kastenwagen der Feuerwehr, versehen mit der Aufschrift Tierrettung . Der weinrote VW-Bus der Spusi war vorgefahren, außerdem zwei zivile PKW unbekannter Provenienz. Viel Betrieb für eine arme alte Frau.
Es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis man dahintergekommen war, wer den Tierfriedhof angelegt hatte; im Grunde genommen musste fast jedem Nienhäger Einwohner, als er von ihm hörte, sofort klar gewesen sein, dass Anni Kröber ihre Lieblinge bestattet hatte, denn sie war ortsbekannt. Sie hatte sich weder unsterbliche Verdienste um den Ort
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