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Mörder im Zug

Mörder im Zug

Titel: Mörder im Zug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Goyke
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einige Male telefoniert. Ich hab wenig verstanden, die meisten Gespräche hat er auf Englisch geführt. Und er war an meinem Computer, ich habe nämlich die Windows-Fanfare gehört.«
    »Das haben Sie ihm erlaubt?«
    »Dass er an meinen PC darf? Eigentlich nicht. Heute habe ich endlich ein Passwort eingerichtet. Ich bin in diesen Dingen etwas nachlässig.«
    »Was kann er auf Ihrem Computer gesucht haben?«
    »Er war im Internet.« Sie senkte den Kopf. »Ich habe in der Chronik nachgeschaut. Er hat einen Flug gebucht. Klingt vielleicht unglaubwürdig, aber … nach Montevideo. Mit Iberia von Berlin aus.«
    Uplegger entschlüpfte ein »Ach, du dickes Ei!«, was dazu führten, dass beide Frauen ihn anstarrten. Diesmal wurde er aber nicht rot, sondern erklärte seinen Ausruf: »Zwischen Deutschland und Uruguay gibt es kein Auslieferungsabkommen.«
    »Was Sie alles wissen!« Barbara bedachte ihn mit einem anerkennenden Blick, dann wandte sie sich wieder an ihre Zeugin: »Wann hat Rauch Sie verlassen?«
    »Es war so gegen fünf. Er ging klammheimlich, aber ich habe es gehört und auf den Wecker geschaut. Kein Wort des Abschieds. Immerhin hat er mir 400 Euro dagelassen, wahrscheinlich alles, was er bei sich hatte.«
    »Ich nehme an, seine Flucht überzeugt Sie vollends, dass er viel Dreck am Stecken hat.«
    »Ich habe keine Zweifel mehr. Dass ich mit dem Teufel frühstücke, war mir immer klar. Allerdings habe ich gedacht, mein Löffel sei lang genug.« Penelope Pastor wirkte jetzt sogar etwas traurig. »Na ja, was hilft’s. Hier!« Sie hob Anna Freud an, und vier Banknoten kamen zu Vorschein, die sie ergriff und Barbara reichte. »Ich will das Geld nicht.«
    »Weil Blut daran kleben könnte?«
    »Weil ich mit meinen Bildern genug verdiene.« Sie leerte das Glas, stand auf, ging zur Tür. »Oder haben Sie noch was?«
    »Im Augenblick nicht. Kommen Sie trotzdem morgen zur Vernehmung, wir müssen alles schriftlich festhalten.«
    »Nur kurz noch«, schaltete Uplegger sich ein. »Sie haben gesagt, Simon Rauch wäre gegen fünf Uhr aufgebrochen. Laut seiner Frau ist er angeblich erst am Vormittag zu Hause aufgetaucht. Ich möchte Sie nicht verletzen, aber gibt es noch andere Frauen, von denen er sich verabschieden muss?«
    »Simon?« Penelope lachte, ein trübes Lachen. »Seit wann nimmt einer wie er von seinen Frauen Abschied?«
     
    Es war unmöglich, Kontakt zu bekommen. Der Feind störte den Empfang. Schwarze Autos fuhren vorbei. Es war bitterkalt, er fror erbärmlich. Ein wenig stolz war er aber auch: Es war ihm tatsächlich gelungen, die Kontrolleure auszutricksen und nach Hamburg zu gelangen.
    Beim Verlassen des Hauptbahnhofs jedoch war er direkt diesen Männern in die Hände gefallen, die nun neben ihm auf der Bank am Bus-Port saßen und die Sangria-Flasche kreisen ließen, ab und zu beäugt von Polizisten. Sie nötigten ihn, auch einen Schluck zu nehmen, und weil er es sich mit ihnen nicht verderben wollte, nippte er wenigstens. Als er den Weltempfänger zur Hand genommen hatte, hatten sie ihn gezwungen, einen Hamburger Sender einzustellen. Nun dudelte Musik, und wenn er versuchte, die Senderwahl geringfügig zu ändern, erntete er Protest.
    Diese Obdachlosen, diese Trinkkumpane, diese Junkies waren nicht unfreundlich, sondern von fast überschwänglicher Herzlichkeit gegenüber dem Fremden aus der Provinz, aber er wusste, dass sie Beauftragte waren. Ständig veränderten sich ihre Gesichter, wurden monströse Fratzen, nahmen die Züge von Ärzten, Pflegern, Nachbarn an – und die des Toten. Des Toten aus der S-Bahn.
    Er biss die Zähne zusammen, biss sich die Lippe blutig. Der Feind hatte beschlossen, ihn verrückt zu machen.
    Leichenwagen fuhren vorüber. Eine Polizistin schaute angewidert. Plötzlich krochen Würmer aus ihren Augen. Fast hätte er laut aufgeschrieen.
    Irgendwann am Abend war die Erinnerung mit der Gewalt einer Sturzflut über ihn hereingebrochen. Sie hatte ihn aus dem Haus getrieben, hatte ihn zu Fuß von Sildemow zur Endstelle der Straßenbahn in der Südstadt gehetzt, ein weiter Weg, doch hatte er die Kälte nicht gespürt, sondern nur Angst. Er hatte seine Daunenjacke waschen wollen, hatte, bevor er sie in die Maschine steckte, sämtliche Taschen geleert, und da war es gewesen: das blutbefleckte Messer. Sein Messer.
    Er hatte den jungen Mann erstochen. Er war es gewesen. ER!
    Er sah es vor sich, wieder und wieder. Es war ein Feind. Einmal war er ihm bereits begegnet, in der Paulstraße, im

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