Mörder im Zug
Schulzeit. Das stimmte aber nicht. Die dürfen nicht wissen, dass ich nach Ha-Er-O unterwegs war, dann ahnen die, wo ich gewesen bin. Mein Freund ist nämlich Grieche und fünf Jahre älter.«
»Ich schweige wie ein Grab«, gelobte Christian. Er war enttäuscht. Die besten Weiber waren immer schon vergeben, und dann noch an einen Griechen, an einen von diesen Typen, die nicht mit Geld umgehen konnten und nicht arbeiten wollten, weil sie den ganzen Tag Suzuki tanzten. Nee, so hieß das nicht, das war … egal.
»Ihre Eltern mögen keine Griechen?«
»Was denken Sie denn? Die leben noch immer halb in der DDR und erzählen dauernd, wie schlimm die Algerier waren.«
»Algerier?«
»Vergessen Sie’s! Griechen, Algerier, Türken, Araber – alles, was dunkle Haut und schwarze Haare hat, ist für die eins.«
Christian Löffler blätterte im Wachbuch, nachdem er die Zeugin nach draußen geschickt hatte. Er stieß dabei auf einen Briefumschlag, der an ihn adressiert war: Chrissi, bring das mal in die Dienststelle zu Kurt . Wie er es hasste, wenn man ihn Chrissi nannte!
Auch wenn er die Schrift nicht erkannt hätte, so hätte er doch gewusst, wer ihm dieses Ei ins Nest gelegt hatte, nämlich Udo Backhaus, der fetteste und faulste Kollege im Bereich der Bundespolizeidirektion Bad Bramstedt. Der hatte in der Nacht Dienst gehabt und offenbar am Morgen keine Lust, irgendetwas irgendwohin zu bringen – das konnte ja Chrissi erledigen!
Löffler öffnete das Kuvert, das zwei Fotos und ein zusammengefaltetes, mit Kaffee und Dönersoße beflecktes Anzeigenformular enthielt. Backhaus und sein Begleiter, Pommes Friedrich, auch so ein Loser, hatten in Bützow einen Schwarzfahrer aus dem Zug geholt und die dazugehörige Anzeige ausgefüllt, mit der Hand und ohne Duden. Leistungserschleichung, Straftat nach § 265a StGB, was für ein Verbrechen! Die größte Herausforderung des Vollzugsdienstes: Schwarzfahrer mit dem Kugelschreiber abknallen! Manche von denen wurden alle paar Wochen erwischt, und sie lachten einem noch ins Gesicht, weil sie schon seit Anno Krug unterhalb der Pfändungsfreigrenze lebten.
Die Fotos waren auf der Rückseite mit dem Namen, dem Geburtsdatum und der Anschrift des Mannes beschriftet, der sich hatte ertappen lassen: Thomas Camps, 22.5.1974, 18059 Sildemow, In der Seekoppel 5.
Christian drehte die Bilder um. Beinahe fiel ihm das Frühstück aus dem Mund. Wenn er sich nicht irrte, war die BPOLI KB unverhofft in greifbare Nähe gerückt.
Sildemow, obgleich nur wenige Kilometer südlich von Rostock gelegen, erschien in keinem Reiseführer, und manch einer mochte wohl behaupten, dass sich dort nicht einmal Fuchs und Hase etwas zu sagen hatten. Barbara fand es eigentlich ganz hübsch. Der kleine Ort war ein Teil von Papendorf, und weil es ein Dorf war, sah es eben auch so aus: Eine Handvoll Straßen, ein Gutshaus, Bauerngehöfte und Einfamilienhäuser, Gärten und immerhin ein See gehörten dazu sowie das unvermeidliche Erschließungsgebiet, das nach der Wende entstanden war und den Charme extremer sozialer Kontrolle versprühte. Thomas Camps wohnte am Rande, nicht weit vom See.
Dass sie überhaupt hier waren, verdankten Barbara und Uplegger einem jungen POM von der Bundespolizei. Das Foto eines Schwarzfahrers hatte ihn stutzen lassen, und nachdem er es Sokolowski vorgelegt hatte, stand felsenfest, dass Camps der Mann war, der den 9511 in Güstrow bestiegen und in Papendorf verlassen hatte. Von dort war er dann offenbar nach Sildemow geradelt.
Zuerst hatte man den KDD nach Sildemow geschickt, Helmich und Krüger. Camps hatten sie nicht angetroffen, aber sie hatten sich umgehört bei aufmerksamen Anwohnern. In der Nachbarschaft galt Camps als eigenbrötlerisch und seltsam. Manchmal bekam er nachts einen Rappel und schoss in seinem Garten umher. Er benutzte wohl ein Luftdruckgewehr.
Die Kinder hatten Angst vor Camps. Es gab keinen bestimmten Grund dafür, er bedrohte sie nicht, schoss nicht auf sie, tat überhaupt nichts, aber Kinder hatten mitunter ein feines Gespür für Gefahr.
Manche Erwachsene nannten Camps verwahrlost und verrückt. Sie hatten gesehen, wie er auf der Straße mit sich selbst sprach. Sie hatten bemerkt, dass er in abgestellte Autos schaute. Was sie jedoch vor allem beunruhigte, war der Umstand, dass seit Monaten in seinem Haus kein Licht brannte, auch wenn er zu Hause war. Der Mann saß abends, saß nachts im Dunkeln. Nicht einmal die Schattenspiele eines Fernsehgerätes erfüllten die
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