Mörder im Zug
eine Art Trockenschwimmen. Der Zug bleibt auf dem Abstellgleis, aber alle setzen sich dorthin, wo sie in jener Nacht saßen, Sokolowski macht seine Runden, die Stationen werden angesagt, man steigt aus und ein und so weiter. Gunnar hat das arrangiert.«
»Und ich dachte schon, das wäre Ihr Einfall.«
»Nee, nee, ist es nicht. Aber er könnte von mir sein.« Mit einem verschmitzten Grinsen langte Barbara nach Stift und Papier. »So, wen möchten Sie übernehmen? Den sozialpädagogischen Widerling oder die likörtrinkende Oma? Oder gar Penelope?«
***
Christian Löffler langweilte sich. Er saß in einem ungemütlichen und wenig möblierten Büro, das sich die Bundespolizei mit der DB-Sicherheit teilte, und wärmte die Hände an einer Kaffeetasse. Sein Kollege war pinkeln, was überraschend lange dauerte, er schäkerte wohl wieder mit irgendeiner Bahntussi. Löffler war 22 und bereits frustriert. Seinen Job bei der Bundespolizei hatte er sich anders vorgestellt, weil er so naiv gewesen war, auf Hochglanzbroschüren zu vertrauen. Er hatte seine Haut zu Markte tragen und Abenteuer erleben wollen, tagtägliche Herausforderungen, einen ständig erhöhten Adrenalinspiegel. Ursprünglich hatte er zum Flugdienst oder besser noch zur GSG 9 gewollt, und bei der Einstellung hatte man gesagt, ihm stünden alle Wege offen. Doch bereits am Bundespolizeiaus- und – fortbildungszentrum Neustrelitz war ihm aufgegangen, dass der Mittlere Vollzugsdienst etwas für Weicheier und Warmduscher war, für Typen mit einem Büro im Gehirn; allein die vielen Vorschriften und Gesetze und das ewige Gerede von Demokratie und Bürgernähe hatten ihn genervt. Christian hatte noch nicht einmal die Waffe ziehen müssen. Er verkümmerte als Polizeiobermeister mit Besoldungsgruppe A 8 im öden täglichen Vollzugsdienst, bei dem er Säufer vom Bahnhof weisen, desorientierten alten Weibern den Weg zeigen und ab und zu dämliche Kids von den Schienen holen musste; es war ja schon Hochspannung, wenn Kupferkabel gestohlen wurden oder Züge im Schnee stecken blieben und die Fahrgäste durchdrehten. Die größten Höhepunkte waren die Heimspiele von Hansa , bei denen die Hooligans in Scharen anrückten und Bambule machten und er ihnen den Schlagstock zeigen durfte. Wahrscheinlich gab es sogar beim Bundespolizeiorchester mehr Spaß.
Jemand klopfte. Christian brummte ein »Herein!«.
Ein richtig süßes Mädel trat ein, auf dessen lila Sweatshirt mit dem Wort Hingucker die volle Wahrheit stand. Ihre enge Jeans war prall gefüllt und Christian merkte, dass sich in ihm manches regte. Nun war er froh, dass sich sein Kollege vom Acker gemacht hatte, der ohnehin immer nur vom Segeln schwadronierte.
»Sie wünschen?«
»Es geht um diese Sache im Zug.« Das Mädchen schien schüchtern zu sein und hatte dazu doch nun wirklich keinen Grund.
»Ja?« Um Sachen in Zügen ging es hier meistens.
»Wo dieser Mann … ermordet …«
Christian war sofort in innerer Habachtstellung. Der Mord im 9511 beschäftigte natürlich auch die Bundespolizei, und er selbst war dabei gewesen, als man die Tatwaffe gesucht hatte.
»Sie haben etwas gesehen?«
»Ich habe in dem Zug gesessen.«
Ruhig, Chris, ganz ruhig! Er wusste, ein paar Zeugen fehlten noch. Dass sich dieses süße Häschen ausgerechnet an ihn wandte, musste ein Glücksfall sein.
»Bitte, setzen Sie sich doch.« Er sprang auf und rückte ihr einen Stuhl zurecht, der so schimmlig wirkte wie die ganze Bahn hinter den Kulissen. »Wie ist Ihr Name?«
»Werden meine Angaben wirklich vertraulich behandelt?«
»Aber natürlich.« Er setzte sich, zog einen Kugelschreiber aus der Brusttasche, schlug das Wachbuch der DB-Sicherheit auf, in dem man die Telefonnummern der Mordkommission notiert hatte. Wenn er jetzt clever handelte, klappte es vielleicht mit der Versetzung zur Bundespolizeiinspektion Kriminalitätsbekämpfung hier in Rostock.
»Also?«
»Schwacke, Sandra.«
»Wie alt sind Sie?«
»19.«
Mann, Alter! Genau seine Kragenweite! Nur dass er mit seinen 1,67 m zu ihr würde aufschauen müssen, machte ihm zu schaffen. Das konnte er aber wettmachen, denn als Polizeibeamter hatte er eine Menge Läuschen un Rimels auf Lager; er konnte ihr praktisch das Leben erklären.
»Ich möchte nicht, dass meine Eltern erfahren, bei wem ich war«, sagte die Schöne.
»Bei wem waren Sie denn?«
»Bei meinem Freund. Ich wohne in Huckstorf und habe den Alten erzählt, dass ich in Güstrow eine Freundin treffe, aus der
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