Mörder im Zug
deutete in eine Straße der erst in den letzten Jahren errichteten Siedlung. »Wir haben nur wenige Leute angetroffen, denn wer hier gebaut hat, der hat in der Regel auch Arbeit. Und die meisten Carports sind ja auch leer. Trotzdem …« Er schauderte. Da er jung war, durfte er dergleichen nicht nur empfinden, sondern es auch äußern.
Helmich brummte vor sich hin. Uplegger sagte: »Es sind die Häuser. Wenn die Bewohner fort sind, wird man von ihren Häusern beobachtet.«
»Hey da, ihr faule Bande!«, rief Pentzien. Sie drehten sich dem Haus zu, von dem man nicht behaupten konnte, es werde von der Spusi auf den Kopf gestellt, denn das hatte vor ihr schon jemand getan. Niemand bezweifelte, dass es der Besitzer gewesen war. »Kommt mal her!«
Pentzien hatte eine kleine durchsichtige Plastiktüte in der Hand. Sie enthielt ein blutiges Messer.
»Das ist noch nicht alles. Ein Winterstiefel weist an der Sohle ebenfalls Blutspuren auf. Im Übrigen ist das ganze Haus verwüstet, und in jedem Raum wurden die Wände aufgestemmt. Ausnahmslos alle Fenster sind mit Folie verklebt. Hier wohnt ein Irrer, und wenn ihr euch noch zwei Minuten geduldet, liefere ich euch den letzten Beweis.« Pentzien trug die Tüte zum VW-Bus. Nachdem er das Fundstück verstaut hatten, kehrte er ins Haus zurück.
»Haben wir es also mit zwei Morden zu tun, zwischen denen es doch keinen Zusammenhang gibt?«, fragte Uplegger zwar laut, aber eigentlich nur sich selbst. Niemand antwortete.
Pentzien brachte einen blauen Müllsack heraus. Er stellte ihn auf eine gesprungene Gehwegplatte, hielt ihn mit der linken Hand und tauchte die rechte ein Stück hinein. Er sagte »Simsalabim!« und präsentierte auf der flachen Hand zwei Tablettenpackungen. Barbara musste die Augen zusammenkneifen, um die Namen der Medikamente lesen zu können. Eines hieß Tilidin. Das andere Seroquel.
»Schon wieder Pillen!«, stöhnte sie.
»Und was für welche. Dieser Camps hat sich eine pharmazeutische Sammlung zugelegt, und zwar zum selektiven Gebrauch. Tilidin ist ein starkes Schmerzmittel, das er offenbar gefuttert hat wie Schokolade, denn die Packungen sind leer. Das Seroquel hat er gemieden wie der Teufel das Weihwasser. Wenn ich mir sein Haus so anschaue, möchte ich allerdings viel nötiger behaupten, dass er es gehabt hat.«
»Was ist es denn für eine Medizin?«
»Man setzt es ein zur Behandlung der Schizophrenie.«
»Camps ist schizophren?«
»Ach wo. Schau dich mal um, das macht doch einen ganz gesunden Eindruck, oder?« Pentzien warf die Packungen zurück in den Müllsack. »Er hat seine Medikamente nicht genommen, versteht ihr? Das ist ein Zeichen dafür, dass ihm die Krankheitseinsicht fehlt. Drei uneingelöste Rezepte liegen auf dem Küchentisch, ausgestellt von einem Psychiater Dr. Zimmer.«
Uplegger machte einen Schritt zurück. »Wo hat der seine Praxis?«
»Paulstraße.«
»Das ist der Arzt von Andriejus Medanauskas!«
»Na, seht ihr? Da sind sich im 9511 zwei Geisteskranke begegnet. Noch Fragen?« Pentzien verschloss den Sack mit Klebeband und schrieb mit Filzstift eine Zahl darauf. »Nein? Dann gebe ich euch großzügig eine Antwort auf eine nicht gestellte Frage: Dieser Camps lebt augenscheinlich in einer Wahnwelt, und jetzt ist er irgendwo in der Pampa unterwegs. Dazu kann ich nur eins sagen, nämlich gute Nacht!«
Die nachgestellte Fahrt des 9511 hatte keine neuen Erkenntnisse gebracht, und das galt auch für die Vernehmungen, an denen Barbara und Uplegger gar nicht teilnahmen. Sie mussten Camps finden, bevor ihm die letzten Sicherungen durchbrannten; schließlich wussten sie weder, was in ihm vorging, noch was er vorhatte und wozu er fähig war.
Uplegger hatte sich mit Seroquel befasst und herausgefunden, dass es unter den Top 10 der verordneten Arzneimittel immerhin den neunten Platz beanspruchen durfte, dass die Kassen 33 Millionen Euro dafür aufbringen mussten und dass die Verordnungsquote im Vorjahresvergleich um 22 Prozent gestiegen war: Die Menschen der Leistungsgesellschaft drehten zunehmend durch. Dr. Zimmer hatte die chronische Schizophrenie als schreckliche, schicksalhafte Krankheit bezeichnet, deren Ursachen unbekannt waren und damit Uplegger in seiner Auffassung bestärkt, dass die menschliche Seele eine Terra incognita war – allen Behauptungen sogenannter Fachleute zum Trotz. Was nun Camps und auch Andriejus betraf, hatte sich der Psychiater erwartungsgemäß auf die Schweigepflicht berufen.
Dafür hatte Barbara ein langes
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