Mörder im Zug
und nervenzehrendes Gespräch mit der Mutter von Camps geführt. Unter Tränen hatte die in Wismar lebende Frau von der Krankheit ihres einzigen Sohnes berichtet: Wie er als Jugendlicher plötzlich seltsame Verhaltensweisen an den Tag zu legen begann, wie er manchmal tagelang sein Zimmer nicht verlassen wollte, wie er als Chemiestudent in Halle an seiner Angst vor den Kommilitonen gescheitert war. Sie hatte von Aufenthalten in der Psychiatrie erzählt, von dem Verlust sämtlicher Freundschaften, seiner und ihrer, von Drohungen, Wutanfällen, Rückzug und Isolation. Seit zehn Jahren hatte sie ihren Sohn weder gesehen noch von ihm gehört.
Das Haus in Sildemow hatte er von einer Tante geerbt. Sie hatte es nie besucht, aus Angst vor dem, was sie dort erwartete. Ihr Mann war einmal in den kleinen Ort gefahren und hatte vor verschlossener Tür gestanden, aber er hatte gespürt, dass er nicht willkommen war. Längst hatten sie ihr Kind aufgegeben. Sie hatten es an die Krankheit verloren und waren selbst krank geworden, der Vater mit Krebs, die Mutter mit einer nicht weniger zerstörerischen Nervenkrankheit. Die Schizophrenie hatte alles zerstört, was ihnen einmal etwas bedeutet hatte. Beide warteten nur auf den Tod. Und der Tod ging um.
Immerhin hatte der Tag auch eine gute Nachricht parat: Morten Kröner war von der Polizei in Stade festgenommen worden. Einem Streifenbeamten war auf der Straße vor einem Einfamilienhaus der rote Pajero aufgefallen, der bei Kröners Flucht offenbar zu Schaden gekommen war. Als er nach Rücksprache mit der Dienststelle feststellte, dass der Wagen zur Fahndung ausgeschrieben war, klingelte er einfach an der Haustür. Morten, der bei einem früheren Schulkameraden Zuflucht gefunden hatte, folgte ihm widerstandlos. Einem einzelnen Beamten! Barbara konnte nur den Kopf schütteln. In Rostock hätte man zweifellos das SEK gerufen, aber in Stade machte man es vielleicht immer so.
Helmich und Krüger waren unterwegs, um ihn abzuholen, und Mortens Eltern waren heilfroh, obwohl ihrem Sohn nun eine harte, an Konsequenzen reiche Zeit bevorstand.
Es dämmerte bereits, und es schneite auch wieder, als Krüger anrief und durchgab, man verlasse gerade die A 20 an der Abfahrt Rostock-Südstadt. Barbara ließ es sich nicht nehmen, Morten Kröner auf dem Hof der Dienststelle persönlich zu empfangen. Der junge Mann sah furchtbar aus. Sein Teint war aschfahl und gedunsen, dunkle Augenringe verwiesen auf die schlaflose Nacht, er zitterte am ganzen Leib.
Helmich verabschiedete sich, Barbara und Krüger nahmen Morten in die Mitte und führten ihn zum Fahrstuhl. Als die Türen sich öffneten, trat Gunnar Wendel heraus, gefolgt von einer Uniformierten. Wendel betrachtete Kröner für einen Moment, nickte Barbara anerkennend zu und ging in Richtung Kantine.
Uplegger hatte in Vernehmungsraum 3 alles vorbereitet. Das Tonbandgerät war angeschlossen, das Mikro getestet, Formblätter und Fotos vom Tatort lagen parat.
Kröner war dermaßen nervös, dass es kaum auszuhalten war. Uplegger belehrte ihn über seine Rechte und fragte, ob er einen Anwalt hinzuziehen wolle und ob er etwas gegen die Bandaufzeichnung habe. Morten schüttelte den Kopf – und begann, hemmungslos zu weinen.
»Herr Kröner, was haben Sie?«
»Ich … Riccardo … es …«
»Ja?«
»Ich bin fertig! Sehen Sie das nicht?«
»Der Mord an Riccardo hat Sie ziemlich mitgenommen?«
»Ja, was denken Sie denn?«, schrie Morten und sprang auf. »Sie haben mich gezwungen zuzuschauen.«
»Von wem sprechen Sie?«
»Vor meinen Augen …« Er fiel auf den Stuhl zurück, schlug die Hände vors Gesicht. »Ich musste … musste …«
Uplegger reichte ihm Papiertaschentücher und ein Glas-Wasser, bevor er fortfuhr: »Bitte erzählen Sie der Reihe nach. Berichten Sie uns, was sich bei der Deponie ereignet hat.«
Morten schluchzte. Er trocknete die Wangen und schnäuzte sich, und das gnadenlose Tonband nahm die Geräusche auf.
»Wir … Ich muss etwas ausholen.«
Upleggers Ton wurde fast väterlich: »Wir haben alle Zeit der Welt.«
»Okay, ich packe aus.« Erneutes Schnäuzen. »Also … Es war Riccardos Idee.«
Natürlich, dachte Barbara und schwieg. Auch Uplegger sagte nichts.
»Das mit den Drogen. Er hatte da Verbindungen ins Baltikum, über die Verwandten seiner Mutter.«
»Moment!«, rief Barbara. »Das müssen Sie zum Mitschreiben wiederholen.«
»Sie schreiben doch gar nicht.«
»Was ist mit diesen Verwandten?«
»Na, ich kenne die
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