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Mörder Quote

Mörder Quote

Titel: Mörder Quote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Hermanns
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dieser Show sein – überraschenderweise nur Marco Deutz nicht. Der Zampano des deutschen Entertainments, die große goldene Schnauze, the man you love to hate , hatte sich gestern Abend klammheimlich nach Mallorca abgesetzt, von wo er heute Morgen eine – wie Tanya fand – äußerst windige Pressemeldung verschickt hatte: »Plötzliche schwere Grippe, kann am Finale leider nicht teilnehmen, wünsche Lilly und Sascha alles Gute.«
    Fakt war: Der Obermotz der Show hatte Schiss bekommen und sich verpisst. Tanya musste schon den ganzen Tag breit grinsen, wenn sie daran dachte, dass sie nun im Finale alleine am Jurypult sitzen würde, mit dem PR -Chef der Sendung rechts und dem schnell eingesprungenen Unterhaltungschef des Senders links von ihr. Sie allein war übrig geblieben. Die Titte in der Mitte hatte die besten Nerven von allen. Das hier war auf jeder Ebene ihr persönliches TV -Finale, und merkwürdigerweise genoss sie es.
    Direkt hinter ihr im Publikum saß Nils neben den Ex-Kandidatinnen und -Kandidaten der Show und gab ihr das Gefühl von Sicherheit. Aber das allein war es nicht. Sie spürte ganz deutlich, dass – wer immer es auch war – von ihr die Finger lassen würde. Ihr Moment war der an der Reling gewesen, und sie hatte ihn überlebt. Und deshalb würde sie nicht noch einmal in Gefahr kommen, davon war sie überzeugt. Und: Sie war einfach zu glücklich, um in Gefahr zu geraten. Alle Toten – und das versuchte sie sich gegenüber so zu formulieren, dass es nicht vollkommen herzlos klang – waren unglücklich gewesen, jeder und jede auf seine/ihre Art. Sicher waren die Morde keine Strafe für schlechtes Karma – dazu war Frau Helm sicher zu wenig Buddhistin gewesen –, aber trotzdem: Die neue glückliche Tanya Beck, die nach diesem Abend zusammen mit Nils diesen Zirkus endgültig verlassen würde, diese Tanya passte nicht in die Reihe der Opfer! Die alte Tanya hätte vielleicht gepasst, aber der Moment auf der Jacht schien ihr schon zu lange her zu sein. Wie aus einem anderen Leben.
    Sascha stand hinter dem winzigen Stück Stoff, das ihn vom Weltruhm trennte, und zitterte am ganzen Körper. Neben ihm, in einem Meter Abstand, scheinbar ganz ruhig, stand Lilly mit geschlossenen Augen. Ihre Lippen bewegten sich, als ob sie betete oder sich ein Mantra vorsagte, und in diesem Moment überschwemmte Sascha eine riesige Welle von Mitleid – Mitleid mit diesem dünnen kleinen Mädchen, Mitleid mit ihrer verrückten Mutter und sogar Mitleid mit der armen, dummen Chantal. Draußen hinter dem Stoff tobte das Studio gerade in einem gigantischen Beifallssturm, als nun im Vorspann die Bilder aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer zum letzten Mal auf die Wand projiziert wurden. Sascha sah auf dem kleinen Monitor die Gesichter seiner ehemaligen Kontrahenten, samt der geschmackvollen Trauerränder rund um die Fotos von Xena, Mephisto und Chantal. Im letzten Moment, kurz bevor sein und Lillys Namen aufgerufen und der Vorhang beiseitegezogen wurde, spürte er den übermenschlichen Impuls, zu Lilly hinüberzugehen, sie zu umarmen und sie für all die schrecklichen Wochen um Verzeihung zu bitten. Für diesen blöden Wettbewerb, für das künstlich hochgezüchtete Konkurrenzdenken, für seine kleinen Gemeinheiten gegen sie in seinen letzten Interviews und vor allem für das, was heute Abend noch passieren würde. Aber als er seinen Namen hörte und der Vorhang aufgezogen wurde, ging er, ohne sie auch nur anzusehen, geradeaus ins Scheinwerferlicht.

KAPITEL 40
    Als Sascha und Lilly die Bühne betraten, explodierte das Publikum. Alle sprangen auf, und hysterische Sprechchöre brachen los, unterbrochen von den ersten Heulanfällen der kleinen Mädchen im Lilly-Block. Auch Tanya stand auf, in dieser Standing Ovation für nichts, drehte sich zur Menge um und schaute völlig fassungslos in die aufgerissenen Münder, die die Gesichter zu Fratzen verzerrten. Das war es, was die Presseabteilung in jeder Veröffentlichung als »pure Emotion« bezeichnete. Und sie war wirklich pur, und pur war eigentlich gar kein schönes Attribut für menschliche Mimik. Man könnte auch sagen roh, enthemmt, grob, brutal – wie Gesichter auf einem expressionistischen Kriegsgemälde. Direkt hinter Tanya, neben Nils, waren nun auch die ehemaligen Kandidaten für ihr Close-up aufgestanden. Sie waren heute zum vorerst letzten Mal im Blickfeld der Nation – Ayleen hatte anscheinend immer noch zu wenig Geld für Stoff, Sebastian hatte einen zu engen

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