Mörderische Ärzte: der hippokratische Verrat
Prämien waren hoch, weil auch die Versicherungssummen hoch waren, insgesamt etwa 550 000 Francs. Madame de Pauw machte sich auch keine Gedanken, als Pommerais sie veranlasste, beim Notar ein Testament zu hinterlegen, das ihn zum alleinigen Nutznießer des Geldes machte. Pommerais sollte mit diesem Geld für ihre Kinder sorgen.
Madame de Pauw wunderte sich auch nicht, als ihr Pommerais dann einen phantastischen Plan unterbreitete, wie sie selbst bald in den Genuss der halben Million Versicherungsgelder kommen könnte. Sie sollte schwere Krankheit vortäuschen und dies den Versicherungsanstalten mitteilen. Daraufhin sollte sie ihnen vorschlagen, die Versicherungssumme in eine monatliche Rentenzahlung zu 500 Francs umzuwandeln. Pommerais sagte, er wäre überzeugt, die Versicherungsanstalten würden sofort diesem Vorschlag zustimmen. Für einen Todkranken vielleicht noch ein oder zwei Jahre einige tausend Francs zu zahlen, käme sie viel billiger, als eines Tages eine halbe Million auf den Tisch legen zu müssen. Madame de Pauw zweifelte nicht daran, die Versicherungsgesellschaften täuschen zu können, und stimmte dem Plan zu.
Es beunruhigte sie deshalb auch nicht, als Pommerais ihr einige Brieftexte diktierte, in denen sie ihren Bekannten über ihre angeblichen unheilbaren Krankheiten berichtete.
Und Madame de Pauw hegte noch immer keinen Verdacht, als sie nach einem Abendessen mit ihrem Geliebten noch in derselben Nacht schwer erkrankte. Zuerst bekam sie Magenschmerzen, dann musste sie fortwährend erbrechen. Sie glaubte, daran sei irgendeine verdorbene Speise schuld. Bald konnte sie sich nicht mehr auf den Beinen halten und legte sich zu Bett. Heftige Schweißausbrüche folgten. Eine Nachbarin ließ zwei Ärzte kommen.
Die Ärzte prüften den Puls. Er war merkwürdig unregelmäßig, anfangs schwach und mit kaum 40 Schlägen in der Minute ungewöhnlich verlangsamt, stieg dann aber bald auf 130 an.
Einer der Ärzte vermutete einen Magendurchbruch, der andere Cholera. Während sie sich noch leise über die Therapie unterhielten, schickte die Patientin sie heim und bat die Nachbarin, Dr. de la Pommerais zu holen.
Kurz darauf erschien Pommerais am Krankenbett seiner Geliebten. Sie war schon so schwach, dass sie sich nicht mehr aufrichten konnte. Pommerais gab ihr mehrmals homöopathische Tropfen und sprach ihr Mut zu. Es sei nur ein leichter Choleraanfall. Bald könne sie wieder das Bett verlassen.
Tatsächlich verließ Madame de Pauw wenige Stunden später das Bett.
Als sie in den Sarg gelegt wurde.
Pommerais schrieb den Totenschein aus und kümmerte sich um die Beerdigung.
Die Tote war noch nicht bestattet, da suchte Pommerais bereits die Versicherungsgesellschaften auf. Er legte das notariell beglaubigte Testament der Verstorbenen vor und verlangte die Auszahlung der Versicherungen. Bei so hohen Summen nehmen sich die Versicherer Zeit mit der Zahlung. Sie schauten in ihren Unterlagen nach und kamen ins Grübeln. Eine junge Frau, vor Abschluss der Versicherungen von verlässlichen Ärzten untersucht und für gesund befunden und wenige Monate später plötzlich verstorben! Die Versicherer verständigten sich miteinander und schickten - da sie keine Beweise für ein Verbrechen hatten - einen anonymen Brief an die Polizei. Diese möge nachprüfen, ob Dr. de la Pommerais möglicherweise Mme. de Pauw ermordet habe, um in den Besitz der beträchtlichen Lebensversicherung zu kommen.
Polizeichef Claude warf den anonymen Hinweis nicht in den Papierkorb, sondern ließ die Angelegenheit überprüfen. Und bald hatte er ein ansehnliches Dossier über Pommerais vor sich liegen: Schulden, drohender Konkurs, der plötzliche Tod seiner Schwiegermutter und seiner Geliebten, bei beiden wenige Stunden nach einem Abendessen mit dem Arzt, die hohen Lebensversicherungen, das Testament zu seinen Gunsten.
Claude vermutete, der anonyme Brief habe ihm einen kapitalen Kriminalfall beschert. Die Vermutung wurde zur Gewissheit, als ihn die Schwester der Verstorbenen aufsuchte und ebenfalls den Verdacht äußerte, Pommerais habe ihre Schwester ermordet. Sie berichtete, wie ihre Schwester sich an dem Betrug beteiligen wollte, den sich Pommerais gegenüber den Versicherungsgesellschaften ausgedacht hatte. Claude ließ sich die Genehmigung erteilen, die Leiche auf Gift untersuchen zu lassen.
Zum Obduzenten bestimmte Polizeichef Claude Professor Dr. Ambroise Tardieu, einen international anerkannten Gerichtsmediziner.
Am 30. November 1863
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