Mörderische Ärzte: der hippokratische Verrat
Warmblüter untersucht werden könne.
Tardieu benutzte drei Froschherzen für seinen entscheidenden Versuch.
Frosch Nr. l wurde in normalem Zustand belassen.
Frosch Nr. 2 wurden einige Tropfen stark verdünnten reinen Digitalis unter die Haut gespritzt.
Und dem Frosch Nr. 3 einige Tropfen vom Extrakt des Erbrochenen.
Nach etwa einer halben Stunde zeigten die drei Froschherzen folgende Reaktionen:
Froschherz Nr. 1: keine anormale Reaktion.
Froschherzen Nr. 2 und 3: Herzschlag hat sich von normal
40 auf 20 Schläge verlangsamt. Rhythmusstörungen, die Herzfrequenz fällt weiter auf 15. Nach einer weiteren halben Stunde Herzstillstand.
Tardieu wiederholte den Versuch mit gleichem Ergebnis.
Damit hatte er die Vergiftung von Mme. de Pauw durch Digitalis bewiesen. Er sicherte diesen Beweis noch weiter ab, indem er wiederum Dielenproben entnehmen ließ, auf denen sich kein Erbrochenes befand. Im Froschversuch ergab sich keine Reaktion. Das im Tierversuch nachgewiesene Digitalis stammte also zweifellos aus dem Körper der Mme. de Pauw.
Tardieu hatte geahnt, er würde vor Gericht einen harten Kampf durchstehen müssen, um den Geschworenen seinen Nachweis verständlich zu machen. Lachaud, der Verteidiger des Angeklagten, setzte alles daran, um Tardieu lächerlich zu machen. Bekanntlich, so sagte Lachaud, ließen sich mit bestimmten chemischen Reagenzien an Pflanzenalkaloiden phantastische Farbreaktionen erzeugen, die eine sichere Bestimmung des Giftes erlaubten. Nichts dergleichen habe Tardieu vorzuweisen! Und was die sogenannten physiologischen Experimente mit Froschherzen betreffe, so zeuge es von geradezu sträflicher Überheblichkeit, ein menschliches Herz mit einem Froschherzen zu vergleichen. Sein stärkstes Argument schleuderte Lachaud dem Professor am Ende seines Plädoyers entgegen: »Heute ist die Wissenschaft zur Erkenntnis gelangt, die giftige Wirkung der Pflanzenalkaloide werde durch den Zerfall des pflanzlichen Eiweißes hervorgerufen. Auch im Körper der Toten kommt es zum Zerfall von Eiweiß. Die Gifte, die in diesem Fäulnisprozess entstehen, sind bestimmt kein Digitoxin. Aber Sie haben damit Ihre Frösche hingemordet! Damit werden Sie das Gericht und die Geschworenen nicht überzeugen!«
Aber Tardieus Beweise überzeugten die Geschworenen, vor allem deshalb, weil er den entscheidenden Test nicht mit dem Organextrakt, sondern mit dem Erbrochenen der noch Lebenden durchgeführt hatte. Fäulnisgifte, die sich in der Leiche gebildet und dann die Frösche getötet haben könnten, waren also gar nicht im Spiel.
Pommerais wurde zum Tode verurteilt und hingerichtet.
Rätsel der »Leichenalkaloide«
Die letzten fünf Lebensjahre des dreißigjährigen englischen Arztes Dr. George Henry Lamson glichen einem Unglücklichen, der langsam, aber unrettbar in einem Sumpf versinkt.
Lamson, der Sohn eines Pfarrers, hatte Medizin studiert und sich als Chirurg spezialisiert. Eine Tätigkeit in seinem Heimatland befriedigte den unruhigen und ehrgeizigen jungen Arzt nicht. Er suchte das Abenteuer und fand es im Krieg. Der Freiheitskampf der Serben gegen die türkische Vorherrschaft bot ihm dazu Gelegenheit. Auf dem Kriegsschauplatz gab es für einen Chirurgen genug Arbeit: Kugeln aus dem Leib der Verwundeten zu entfernen, zerschmetterte Beine zu amputieren, Sterbenden, die wie Tiere brüllten, die letzte Stunde mit Morphium zu erleichtern. Er erlebte, wie das Morphium die Verkrampften und Zuckenden entspannte, wie seine Wellen den Schmerz wegspülten, und er dachte, es muss schön sein, nicht mehr leiden zu müssen. Vielleicht, das ist nur zu vermuten, hatte Lamson auch ein zu weiches Gemüt, das bei den Gräueln des Krieges nicht unberührt blieb und ebenfalls, wie die körperlich Verletzten, nach Betäubung verlangte.
Lamson verfiel dem Morphium.
Als er 1878 nach London zurückkehrte und ihn das Kriegsgrauen nicht mehr bedrängte, ließ ihn das Rauschgift dennoch nicht mehr los. Möglicherweise hatte oder fand er einen andern Grund, am Morphium hängen zu bleiben: die biedere Langweiligkeit des viktorianischen England, die in krassem Gegensatz zu seinen Kriegsabenteuern stand. Nicht in Serbien daheimgewesen und nicht hier in England, ein Mann ohne innere Heimat.
Aber wie die Möglichkeit, sich als Arzt jederzeit Morphium verschaffen zu können, seine Sucht förderte, so zerstörte sie ihn körperlich und seelisch. Er glich einem Leichnam, der dem Grab entstiegen war: totenhaft bleich sein abgemagertes
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