Mörderische Ärzte: der hippokratische Verrat
nur ein Spaß. Ich wollte sie
erschrecken. Sie lässt sich von Dr. Bull küssen!«
Jane musste mit ansehen, wie Ruloff ihre Schwester erneut schlug. Er drohte ihr: »Bevor ich dich einem andern überlasse, hacke ich dich in kleine Stücke!« Jane war entsetzt, wie rasch der liebenswürdige Schwager zu einem Wüterich wurde.
Es blieb nicht bei diesem ersten Ausbruch der Affekte. Ein anderes Mal schlug Ruloff seiner Frau den Eisenstößel eines Mörsers an den Kopf. Die Misshandlungen Harriets häuften sich.
Allmählich kam immer deutlicher das andere Gesicht Ruloffs zum Vorschein, das Gesicht eines unbeherrschten, von Ungeduld, Eifersucht und Arroganz geprägten Mannes. Harriets Familie zeigte sich immer weniger bereit, einen solchen Menschen in ihrer Mitte zu dulden. Die Spannungen mit Ruloff wuchsen, so dass dieser es schließlich vorzog, in einen andern Ort zu ziehen.
Hier, in Lansing, einem kleinen Flecken in der Nähe Ithakas, schien sich das Verhältnis zwischen Ruloff und Harriet zu bessern. Vielleicht trug Harriets Entfernung von ihrer Familie dazu bei, vielleicht hatte Ruloff darunter gelitten, dass sie in Dryden zu fest an ihre Familie gebunden gewesen war, vielleicht hatte die Familie ihn von Anfang an spüren lassen, dass er für sie ein Außenseiter war.
Anfangs ging also alles gut in Lansing. Ruloff praktizierte wieder als Arzt. Seine Patienten schätzten seine medizinischen und menschlichen Qualitäten. Seit ihm seine Frau eine Tochter geboren hatte, verhielt er sich auch zu Harriet freundlich und aufmerksam.
Doch dann, im Juni 1845, häuften sich merkwürdige Vorfälle.
In diesem Monat besuchte er mit Harriet seinen Schwager William Schutt in Ithaka. Eines Tages bat ihn Schutt, ein krankes Kind aus der Nachbarschaft zu behandeln. Nachdem Ruloff die Behandlung begonnen hatte, verschlimmerte sich der Zustand rasch, und am nächsten Tag starb das Kind unter heftigen Krämpfen. Seine Mutter, die bis dahin völlig gesund gewesen war, erkrankte unter gleichen Symptomen und starb zwei Tage später.
Im gleichen Monat, als Ruloff zu Krankenbesuchen unterwegs war, besuchte die Nachbarin Miss Roberts seine Frau. Abends kam Ruloff heim. Miss Roberts und Harriet sahen, wie er ein weißes Pulver in ein Getränk mischte und es seinem Kind eingeben wollte.
Harriet sagte, das Kind sei gesund und brauche keine Medizin. Ruloff stand von seinem Vorhaben ab, es wäre nur ein Spaß gewesen. Harriet kannte diese Ausrede.
Was dann in dieser Nacht geschah, blieb für immer eines von Ruloffs vielen Geheimnissen. Warum und wie er seine Frau tötete, hat er niemals preisgegeben. Aber er versuchte danach verzweifelt, den Mord zu vertuschen.
Am nächsten Morgen bemerkten Ruloffs Nachbarn, dass die Fensterläden seines Hauses noch verschlossen waren. Ihre Neugier ließ erst nach, als Ruloff aus dem Haus kam und seinen Nachbar Robertson um Pferd und Wagen bat. In der Nacht sei nämlich Harriets Onkel gekommen und habe sie und das Kind mit zu sich genommen. Der Onkel habe, um in seinem Wagen Platz für die beiden zu schaffen, eine große Kiste zurückgelassen, die Ruloff ihm nun nachbringen solle.
Robertson fuhr den Wagen vor Ruloffs Haus und half ihm, die schwere Kiste auf den Waagen zu heben.
Unterwegs traf Ruloff eine Schar Kinder. Er ließ sie mitfahren und unterhielt sie mit lustigen Liedern. Dann setzte er sie ab und fuhr allein weiter, in Richtung des einsamen, tiefen, von Wäldern umgebenen Cayugasees.
Am nächsten Vormittag kehrte er mit der leeren Kiste zurück, blieb bis zum Abend in seinem Haus und verließ es mit einem großen Bündel auf der Schulter. Er begegnete Robertson und sagte im Vorübergehen, er werde mehrere Wochen verreisen, um mit seiner Frau einen Besuch zwischen den Seen zu machen.
Unterwegs kehrte er in Ithaka bei seinem Schwager William Schutt ein, übernachtete dort und verabschiedete sich am nächsten Morgen. Dabei zog er einen Ring aus der Tasche und fragte Schutt, ob er ihn wiedererkenne. Schutt erkannte ihn wieder, er hatte ihn vor Jahren seiner Schwester geschenkt. Er solle ihn wieder an sich nehmen, forderte Ruloff. Schutt lehnte das verwundert ab. Daraufhin steckte Ruloff den Ring wieder ein und ging mit der mysteriösen Bemerkung davon, er wolle seine Frau zwischen den Seen abholen.
Mehrere Wochen verstrichen, ohne dass man von Ruloff und seiner Frau etwas hörte. Einige Leute aus Lansing vermuteten, da könne etwas nicht in Ordnung sein. Ein Mann öffnete sogar gewaltsam Ruloffs
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