Mörderische Ärzte: der hippokratische Verrat
aus.«
»Wenn es nur die Standesvertretung wäre! Aber leider ist es bereits ein Kriminalfall! Ich musste die Staatsanwaltschaft informieren, und die wird zweifellos Mordanklage erheben!«
Noch am selben Tag erschien der örtliche Sheriff in der Klinik. Er las den Vermerk in der Krankenakte, danach vernahm er den Arzt.
Auch gegenüber dem Sheriff zeigte sich Sander nicht beunruhigt: »Der Ehemann der Verstorbenen hat schon vor Tagen durchblicken lassen, man sollte doch das Leiden seiner Frau beenden. Das habe ich getan, aus Mitleid mit der Kranken und mit ihrem Mann. Ich kann Ihnen versichern, Mrs. Borroto hätte keine Woche mehr gelebt, aber diese Woche wäre schrecklich für sie gewesen.«
»Doktor, es gibt in diesem Staat kein Gesetz, das gestattet, aus Mitleid zu töten.«
»Ich weiß das, Sheriff. Alle Ärzte wissen das. Was ich getan habe, mag gegen das Gesetz sein, aber ich tat es mit gutem Gewissen.«
Doch darüber war der Sheriff anderer Meinung. Dr. Sander hatte soeben selbst zugegeben, gegen das Gesetz verstoßen zu haben. Er verhaftete den Arzt. Nach zwei Tagen Untersuchungshaft wurde Sander gegen Kaution wieder freigelassen und kehrte in die Klinik zurück.
Während die Staatsanwaltschaft die Anklage vorbereitete, äußerte sich die Ärztliche Standesvertretung öffentlich über Dr. Sander. Zum Fall selbst, so hieß es in der Pressemitteilung, wolle sie keine Stellung nehmen. Sie dürfe sich nicht in ein laufendes Verfahren einmischen. Aber sie wolle betonen, »dass Dr. Sander in seiner praktischen Arbeit an der Klinik bei seinen Kollegen und Mitarbeitern sehr gut angesehen sei und als ein fähiger Arzt von hohen charakterlichen Qualitäten betrachtet werde.«
Anfang Januar 1950 erfolgte die Anklage auf Mord ersten Grades, also auf vorsätzliche Tötung. Würde Dr. Sander schuldig gesprochen, erwartete ihn eine lebenslängliche Freiheitsstrafe. Er praktizierte bis zu Beginn der Hauptverhandlung weiter an der Klinik.
Den Prozess selbst leitete die Auswahl der Geschworenen ein. Das war in diesem Fall ein besonders zähes Ringen zwischen Anklage und Verteidigung um jeden der 160 Kandidaten, die für dieses Amt bestimmt worden waren. Die Staatsanwaltschaft suchte Geschworene zu finden, die die aktive Sterbehilfe ablehnten, die Verteidigung solche, die dafür Verständnis hatten. Bei dieser ersten Machtprobe war die Anklage in der stärkeren Position. Die Meinung der Menschen über Euthanasie wurde hier hauptsächlich durch religiöse Gründe bestimmt. Die Bevölkerung Manchesters war überwiegend katholisch, und die katholische Kirche lehnt die direkte Euthanasie, wie sie Dr. Sander vollzogen hatte, grundsätzlich ab. So endete die Auswahl der Geschworenen schließlich zugunsten der Anklage. Unter den Geschworenen hatten die Katholiken eine Zweidrittelmehrheit.
Auch die erste Phase des Prozesses, die Vernehmung der Zeugen der Anklage, brachte der Staatsanwaltschaft einen deutlichen Sieg. Der Generalstaatsanwalt des Staates New Hampshire vertrat persönlich die Anklage. Das zeigt, welche Bedeutung man diesem Prozess beimaß. Mit Hilfe seiner Zeugen konnte der Ankläger die Beweise gegen Sander noch fester zementieren.
Der Sheriff berichtete, dass der Doktor bei seiner Vernehmung zugegeben habe, gegen das Gesetz verstoßen zu haben.
Die Kliniksekretärin bestätigte die Äußerung von Dr. Sander, er habe die Patientin mit Luftinjektionen getötet.
Kreisarzt Dr. Biron sagte aus, der Angeklagte habe den Vorwurf des Mordes zurückgewiesen und für seine angeblich moralisch gerechtfertigte Handlung höchstens eine Rüge der Standesvertretung erwartet.
Miss Rose überraschte das Gericht dadurch, dass sie ihre Aussage bei der Voruntersuchung zurücknahm. Damals hatte sie noch erklärt, die Patientin habe kein Lebenszeichen mehr von sich gegeben, bevor Dr. Sander ihr die Luft injizierte. Nun sagte sie, sie habe vor der Injektion noch geatmet und nach der Injektion geröchelt. Unklar blieb, warum Miss Rose ihre Aussage zuungunsten von Dr. Sander geändert hatte.
Lediglich Dr. Snay, den Miss Rose im Glauben gerufen hatte, die Patientin sei tot, konnte die Aussage der Schwester zumindest etwas in Frage stellen. Er bestätigte, er habe auch mit dem Stethoskop keinen Herzschlag mehr gehört, und das sei vor der Luftinjektion gewesen. Allerdings wusste Snay auf die Frage des Anklägers, warum denn Dr. Sander dann überhaupt Luft injiziert hätte, keine Antwort.
Von Mr. Borroto wiederum hatte Dr. Sander
Weitere Kostenlose Bücher