Mörderische Ärzte: der hippokratische Verrat
Galveston eine Praxis ein.
»Seiner Neigung entsprechend«, heißt es in einem Bericht über Hadley, »etablierte er sich als Frauenarzt, denn er fühlte, dass in diesem Fach seine Talente am besten zur Geltung kommen würden.« Ob hohe finanzielle Erwartungen oder erotische Illusionen oder beides zugleich Hadley zu dieser Entscheidung bewogen, mag dahingestellt bleiben. Jedenfalls erwies sich dieser Entschluss bald als glücklich. Das Wartezimmer füllte sich mit hilfesuchenden Frauen, und die Patientinnen waren voll des Lobes über den einfühlsamen Arzt, der so viel Verständnis für ihre organischen und seelischen Probleme hatte.
Aber die Einnahmen, die die Praxis erbrachte, genügten Hadley nicht. Die Einrichtung der Praxis hatte ihn verschuldet, er musste beträchtliche Kredite abzahlen und konnte sich noch nicht den Wohlstand leisten, den er beanspruchte. Schaudernd dachte er an den Kurzwarenladen zurück, an das eingeschränkte Leben in seinem Heimatort. Was er dort und damals entbehren musste, das wollte er nun so rasch und so bequem wie möglich nachholen.
Er wollte viel. Wer viel will, muss viel geben. Was, so überlegte er sich, kann ich geben? Dr. Hadley kannte den Kredit, den er besaß. Erstens war er Akademiker. Zweitens hatte er einen guten Ruf als Arzt. Drittens konnte er Frauen faszinieren und fast jede, die er wollte, in sein Bett holen. Und viertens: Er war Junggeselle.
Diesen vierfachen Kredit musste er wohlüberlegt einsetzen. Dafür wollte er eine reiche Frau.
Was sich zuerst nur als kühle Planung vorbereitet hatte, schien bald ein Zufall zu verwirklichen.
Die Sonne war das Werkzeug des Zufalls.
Im Garten des Landhauses von Commodore Hartwick hatten einige Gäste zu lange in der Sonne gelegen und sich einen so starken Sonnenbrand zugezogen, dass sie glaubten, ärztliche Hilfe zu brauchen. Und obwohl er kein Hautarzt war, ließen die Damen ihren Gynäkologen Dr. Hadley kommen, um sich von seinen erfahrenen Händen Brandsalbe einmassieren zu lassen. Unter diesen »Patientinnen« war auch die 20jährige Sue Tinsley, hübsch und jugendfrisch, die sofort Hadleys Begehrlichkeit erweckte. Als er ihren Rücken bearbeitete, erfuhr er nicht nur ihren Namen, sondern dass sie aus einer alteingesessenen angesehenen Familie aus Cincinnati stammte. Dass Sue aus bestem Hause kam, hatte er schon geahnt. Denn Commodore Hartwicks Gäste gehörten zur Creme der Gesellschaft.
In diesem Augenblick fasste Dr. Hadley einen Entschluss. Das ist die Frau für mich! Ich werde sie heiraten. Die Ehe mit Sue ist die Tür zur Welt der oberen Zehntausend, zu Einfluss und Reichtum.
Dem Frauenheld fiel es nicht schwer, seinen Entschluss mit Energie zu verwirklichen. Sein Charme, sein Nimbus als Arzt, seine gesellschaftliche Gewandtheit machten ihn für Sue höchst attraktiv.
Und anscheinend auch für Sues Eltern. Hatte Hadley anfangs noch befürchtet, Sues altehrwürdige Familie könnte ihn als nicht standesgemäßen Emporkömmling ablehnen, so hatte er sich getäuscht. Sues Eltern stimmten der Heirat zu. Die Hochzeit wurde noch im gleichen Jahr, im Oktober 1913, mit Pomp und vielen illustren Gästen gefeiert.
An diesem Tage sah sich Dr. Hadley an der Pforte einer paradiesischen Zukunft. Er hatte eine junge schöne Frau, gehörte nun zu einer einflussreichen Familie, war ein erfolgreicher Arzt mit üppiger Gelegenheit, sexuelle Abwechslung bei seinen Patientinnen zu finden.
Niemals hatte Hadley seine Vergangenheit vergessen, die Jahre im verschlafenen Friendswood, die asketischen Lebensregeln der Quäker, die theologische Engstirnigkeit, die Arbeit im Kurzwarenladen. Nun lag das alles weit hinter ihm.
»Ich bin ein glücklicher Mensch«, sagte er eines Abends, kurz nach der Hochzeit, zu Sue.
»Ja«, bestätigte sie, »ich auch.«
»Und ich bin ein methodischer Mensch«, fuhr er fort. »Ich lebe nicht wie die meisten sinnlos vor mich hin. Ich setze mir Ziele, eins nach dem andern. Mein nächstes Ziel, Sue, ist, dass wir uns einige Zeit bei deinen Eltern in Cincinnati aufhalten.«
»Die Eltern werden sich freuen.«
»Und deshalb werden sie dir und mir zuliebe sicherlich all ihre gesellschaftlichen Beziehungen spielen lassen, die es mir erleichtern, Karriere zu machen.«
»Karriere? Aber welche Karriere denn? Du bist ein beliebter
Arzt!«
»Das genügt mir nicht. Ich denke auch an andere Möglichkeiten. An einträgliche Unternehmungen an der Börse. Immobiliengeschäfte. Medizinische Forschung. Dein Vater gibt
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