Mörderische Ärzte: der hippokratische Verrat
nazistischen Blut-und-Boden-Mythos in den medizinischen Bereich anmutet. Himmler hatte vor seiner politischen Laufbahn mit Kunstdünger gehandelt. Nun sollte Rascher in bestimmten Gebieten des Reiches untersuchen, ob künstliche Düngung die Entstehung von Krebs begünstige. Rascher wollte diese Untersuchung mit seinen bisherigen Forschungen zur Krebs-Frühdiagnose verbinden. Er erklärte Himmler, dazu seien weitere Untersuchungen mit der Auskristallisation des Blutes erforderlich. Himmler versprach ihm, dafür umfangreiches »Menschenmaterial« zur Verfügung zu stellen: »Ich liefere Ihnen dafür Personen, die lebenslänglich im Konzentrationslager untergebracht sind.«
Nun also hatte der ehrgeizige Assistenzarzt einen Mäzen gefunden, der ihm alles beschaffen konnte, was er für seine dilettantischen Experimente brauchte: Geld, Instrumentarien, menschliches »Material«. Und noch eins über allem: Vollmacht. Volle Macht, überall und jederzeit als Beauftragter des Reichsführers SS aufzutreten und damit die erträumte
Karriere als Wissenschaftler voranzutreiben.
Und Himmler hatte in Rascher einen Mann entdeckt, den er ohne Bedenken in das Panoptikum seines AHNENERBE einreihen konnte.
Himmler hatte das AHNENERBE als »Lehr- und Forschungsgemeinschaft« der SS ins Leben gerufen. Sie sollte mit einer Anzahl dubioser Projekte das »arisch-germanische« Brauchtum erforschen und es für die Ideologie vom germanischen Herrenmenschen nutzbar machen. In den 40 Abteilungen des AHNENERBE herrschte der Ungeist des Mythos, des Irrationalismus, des rassistischen Hochmuts. In diese Einrichtung also wurde Rascher als Mitarbeiter berufen.
Für Rascher war es nun selbstverständlich, der SS beizutreten.
Bald erhielt er auch den Ausweis, der ihn berechtigte, das Konzentrationslager Dachau aufzusuchen und dort seine Versuche vorzubereiten.
Hochgestimmt sahen Rascher und Nini im Mai 1939 ihrer Zukunft entgegen.
Doch nur zu bald schien sich die sonnige Zukunft zu verdunkeln. Unübersehbar steuerte Hitler einer kriegerischen Lösung seiner Weltmacht-Ansprüche entgegen. Schon im Mai erhielt Rascher den Gestellungsbefehl und wurde als Stabsarzt d. R. der Luftwaffe zugeteilt. Für den möglichen Zusammenhang zwischen Kunstdüngung und Karzinombildung gab es kein Interesse mehr. Zwar ließ sich Rascher auch jetzt noch Häftlingsblut aus Dachau liefern, arbeitete er in seiner Freizeit weiter an seinem Projekt, sah sich aber durch den kommenden Krieg auf den Nullpunkt seiner Karriere zurückgeworfen.
Bis er schließlich begriff, dass er diese fatale Situation nicht als Hemmnis beklagen, sondern sie zu seinem Vorteil nutzen sollte.
Im Mai 1941 nahm Stabsarzt Dr. Rascher an einem Fortbildungs-Kurs des Luftgaukommandos VII in München teil. Dort hörte er einen Vortrag, wie sich der Flug in großer Höhe auf das Flugpersonal auswirke. Um im Luftkampf den englischen Jagdflugzeugen überlegen zu sein, wollte die deutsche Luftwaffe Raketenjäger bauen lassen, die eine bis dahin nie erreichte Höhensteigfähigkeit besaßen.
Vorerst waren nur die Reaktionen des Piloten in einer Höhe von etwa 12 000 Metern bekannt. Die neu zu entwickelnden Maschinen sollten jedoch 18 000 Meter hoch steigen können, um ihre Überlegenheit gegenüber den englischen Jägern zu verwirklichen.
In einer solchen Höhe konnte ein plötzlicher Druckabfall tödlich werden, beispielsweise wenn die Druckkabine durch einen Treffer leck wurde und die Piloten in wenigen Sekunden niedrigstem Luftdruck und Sauerstoffmangel ausgesetzt wurden. Zu fragen war auch, ob sie nach einem Abschuss der Maschine in dieser eisigen sauerstoffarmen Luft einen Fallschirmabsprung überleben könnten.
Alle diese Fragen brauchten eine Antwort. Deshalb hatten fliegermedizinische Institute in Berlin und München begonnen, mit freiwilligen Versuchspersonen - Piloten oder Ärzten - Versuche durchzuführen. Für diese Tests war eine spezielle Unterdruckkammer gebaut worden.
In jenem Fortbildungskurs also erfuhr Rascher, dass die Luftwaffe es für nötig hielt, das Verhalten der Piloten bei extremem Sauerstoffmangel durch weitere Versuche mit Piloten und Ärzten zu erkunden. Auch Tierversuche mit Affen sollten dabei wiederholt werden.
An diesem Maitag hatte Rascher einen Einfall, den er als Wende seines Schicksals empfand.
Noch am gleichen Abend berichtete er Nini von seinem Plan.
Kürzlich hatte sich die Familie um ein zweites Kind, wiederum einen Sohn, vergrößert. Himmler hatte Raschers
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