Mörderische Aussichten
Schwesterherz, du hast den Verstand verloren. Sie haben mit dieser Zweiundsechzigjährigen,
die ein Kind bekam, alles Mögliche angestellt, ihr alle möglichen Hormone und sonstiges Zeug verpasst. Und ich weiß ganz genau,
dass sie abnehmen musste und keine Dinge wie gekochte Erdnüsse mehr essen durfte, die ihren Blutdruck hätten nach oben treiben
können. Und jetzt darf sie sich wieder mit der ganzen Erziehungsberatung auseinandersetzen.«
Schwesterherz sah mich an, als wäre ich vollkommen übergeschnappt. »Ich meine doch nicht, dass ich ein Baby bekommen will,
Maus. Mein Gott! Wie kannst du so etwas auch nur denken? Das hatte ich bereits, danke. Drei Mal.«
»Na ja, das hast du eben gesagt.«
»Ich wollte damit zum Ausdruck bringen, dass ichüber die letzten paar Tage nachgedacht habe. Über wen haben wir uns da Sorgen gemacht?«
»Über Ray, Debbie, Haley.«
»Unsere mehr als erwachsenen Kinder.«
Ich nickte; sie hatte recht.
»Und wer«, fuhr sie fort, »hat uns in diese missliche Lage gebracht?«
»Ray?«
»Nein, Maus. Das waren wir selbst. Wir versuchen immer noch viel zu sehr, unsere Kinder zu bemuttern. Wir müssen sie mehr
loslassen.«
Ich blickte auf meine gefesselten Handgelenke und Knöchel. Unsere derzeitige Lage sollte daher rühren, dass wir Mütter waren?
»Hör zu«, sagte ich. »Wir müssen uns vielleicht keine Gedanken mehr über das Loslassen machen. Aber wenn wir hier lebendig
herauskommen, gehen wir alle zur Familienberatung.«
»Auch Fred?«
Ich antwortete nicht darauf. Stattdessen fragte ich: »Was, glaubst du, haben die Turketts mit uns vor?«
»Nun, sie zählen nicht gerade zu den höflichsten Menschen auf Erden.«
Eine geringfügige Untertreibung. Was wohl Kerrigan und Pawpaw jetzt taten? Ich konnte nichts von draußen hören, aber die Klimaanlage
ächzte so laut, dass man sowieso nur sehr laute Geräusche wahrgenommen hätte.
Es wurde allmählich dunkel. Im Wohnwagen brannte kein Licht, aber eine Quecksilberdampflampe oben an einem Mast beleuchtete
das ganze Gelände und warf genügend Licht durch das Fenster, so dass wir etwas sehen konnten. Aufgrund der hoch gelegenen
Fenster vermochten wir nicht nach draußen zu schauen, aber im Wohnwagen war ausreichend hell, um umherzugehen. Fallsdies möglich gewesen wäre. Fred würde sich wundern, wo ich steckte. Er hatte sicher bei Mary Alice angerufen. Noch aber würde
er sich keine Sorgen machen.
»Ich habe Hunger«, sagte Mary Alice.
Irgendwann verlor ich jedes Gefühl dafür, wie viel Zeit bereits verstrichen war. Vielleicht war ich auch ein wenig eingedöst.
Jedenfalls hatte ich keine Vorstellung, wie spät es war, als wir das Auto heranfahren hörten und draußen Stimmen vernahmen.
»Das müssen Buck und Meemaw sein«, sagte Schwesterherz. »Ich bin froh, dass Pawpaw Buck losgeschickt hat, um Meemaw zu holen.
Sie wäre schwer verletzt gewesen, wenn sich ihr Casanova ohne sie davongemacht hätte.«
»Hmmmm«, stimmte ich ihr zu. Aber ich war mit meinen Gedanken bei den beiden Paaren; Kerrigan und Buck und Meemaw und Pawpaw.
Falls sie irgendwoanders ein neues Leben beginnen wollten, wäre dann das ältere Paar nicht Ballast für die Jüngeren? Wäre
es für sie nicht einfacher, alleine abzuhauen? Insbesondere, wenn das FBI hinter ihnen her war?
Ich erschauderte bei der Erinnerung daran, wie ruhig Kerrigans Stimme geklungen hatte, als sie hinsichtlich der Hunde
»Dann erschieß sie halt«
gesagt hatte. Aber sicherlich würde sie Meemaw und Pawpaw nichts zuleide tun. Das waren schließlich ihre Eltern.
»Da solltest du nicht drauf wetten«, sagte eine männliche Stimme in mein Ohr. Ich fuhr derartig hoch, dass ich fast das Gleichgewicht
verlor.
»Was ist?«, fragte Schwesterherz. »Was ist los?«
»Ich glaube, ich habe gerade Gabriel gehört.«
»Erzähl keinen Quatsch. Du träumst. Du schnarchst schon seit was weiß ich wie lang.«
Ich hoffte, sie hatte recht.
Die Wohnwagentür ging auf, und Meemaw kam hereingestapft. »Na so was«, sagte sie, nachdem sie eine Deckenleuchte angeschaltet
hatte, »wen haben wir denn hier?«
»Kerrigan und Pawpaw haben uns gekidnappt«, erklärte Schwesterherz.
»Das habe ich gehört. Sie haben gesagt, Sie hätten zu viel über ihre Geschäfte herausgefunden.«
»Wenn Sie es so nennen wollen«, sagte ich. »Was wissen Sie über ihre ›Geschäfte‹?«
»Ich weiß, dass man schlafende Hunde am besten nicht wecken sollte.«
»Das ist wahr, bei
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