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Moerderische Fracht

Titel: Moerderische Fracht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Erler
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Schließlich machte er mit dem ausgestreckten Zeigefinger eine unmissverständliche Geste in Richtung Tür.
    Also stand ich auf und ging.

Vier
    I
    ch trat durch das Hauptportal hinaus ins Freie, wandte mich nach rechts und stolperte wie betäubt in den Park. Der Wolkenbruch war von strahlendem Sonnenschein abgelöst worden, der bereits zahlreiche Patienten wieder herausgelockt hatte. Es war die gleiche Szenerie wie vor zwei Jahren. Gepflegte, kurz geschnittene Rasenflächen, auf denen Rollstühle und geschmackvolle Rattansessel standen, in welchen reiche, aber unzweifelhaft kranke Menschen saßen. Man unterhielt sich, las oder döste vor sich hin. Die weiße Kleidung des Pflegepersonals bildete einen wunderbaren Kontrast zum satten Grün des Rasens und zum intensiven Rot der Sonnenschirme. Es war eine teure, farbenfrohe Idylle des Siechtums.
    Morisaitte musste es gehasst haben.
    Nach ein paar hundert Metern auf den Kieswegen erreichte ich die von hohen Bäumen überschattete Parkbank, auf der ich vor zwei Jahren mit Kommissar Geldorf von der Hamburger Polizei gesessen hatte. Ich hockte mich auf die Kante der Sitzfläche, schloss die Augen und versuchte, meine Nerven zu beruhigen. Aber es funktionierte nicht. Das überwältigende Gefühl der Schuld nahm mir den Atem und erstickte jeden klaren Gedanken. Meine Erinnerungen überschlugen sich.
    Yves Morisaitte hatte Helen Jonas getötet – und dafür bezahlt. Für eine große Geldsumme war seine Freundin bereit gewesen, ihn zu verraten und mir die Tür zu seinem Appartement zu öffnen. Leider war er an der Überdosis Insulin, die ich ihm spritzte, nicht gestorben. Aber als er aus dem Koma erwachte und gelähmt und sprachlos in seinem Rollstuhl saß, war ich mit dem Ergebnis trotzdem zufrieden gewesen. Es war eine Form von »lebenslänglich«, der ich durchaus etwas abgewinnen konnte.
    Doch das hatte mir nicht gereicht. Ich Idiot musste unbedingt in die Klink fahren, um ihm zu erzählen, was geschehen war. Ich hatte ihn verhöhnt, seine Hilflosigkeit genossen und den Hass in seinen Augen gesehen, als ich ihm von dem Verrat erzählte.
    Hat Jaqueline Sie besucht? Ich darf sie doch Jaqueline nennen, oder? Wahrscheinlich haben Sie in jeder verdammten Nacht darüber nachgegrübelt, warum sie nicht kommt. Wie sie es wagen kann, nicht zu kommen. Sie kommt nicht, weil sie weg ist. Weg aus Belgien und weg aus Europa. Richtung Indischer Ozean, vielleicht Sansibar. Wo es warm ist und die Farben leuchten. Genau das richtige für eine Malerin.
    Wie weit war Sansibar von Kenia entfernt? Hatte ich Morisaitte nicht nur erzählt, wer ihn verraten hatte, sondern ihm auch gleich mitgeteilt, wo er sie suchen musste? Verzweifelt versuchte ich mich daran zu erinnern, ob Jaqueline van t’Hoff Sansibar erwähnt oder ob ich die Insel einfach aus dem Stegreif genannt hatte, um ihn zu verhöhnen. Ich wusste es nicht mehr. Dafür wusste ich etwas anderes: Meine Rachsucht, mein Hass und meine Überheblichkeit hatten Jaqueline van t’Hoff das Leben gekostet.
    Du bist ein großer Schlaukopf, nicht wahr? Doktortitel, Forschungsgelder, Lehrauftrag, alles super. Leider kannst du nicht klar denken!
    Anna hatte recht, ich war ein exzellent ausgebildeter Vollidiot.
    Was hatte ich mir bloß gedacht? Dass eine schwere Krankheit so etwas wie Läuterung bewirkt? Dass ein Mensch sich irgendwie bessert, nur weil er im Rollstuhl sitzt? Dass Hass und kriminelle Energie quasi versanden, wenn jemand nicht mehr laufen kann?
    Ich sah auf meine Uhr. Es war kurz nach vier, noch beinahe zwei Stunden bis zu meinem Rückflug nach München. Ich holte mein Handy heraus und wählte Annas Nummer. Es klingelte mindestens zehn Mal, bevor sie ranging.
    »Ja?«, sagte sie unfreundlich. Ihre Stimme war dunkel vor Aufregung.
    »Du hast recht gehabt. Seine Freunde haben ihn abgeholt. Schon im Februar. Ich glaube, dass der Mord in Mombasa auf sein Konto geht!«
    »Scheiße, Scheiße, Scheiße«, sagte Anna und schien Probleme mit dem Atmen zu haben. Sie gab ein merkwürdiges Japsen von sich, das mich sofort beunruhigte.
    »Bei dir alles in Ordnung?«
    »Nein«, sagte sie, »ich brauche dich hier.«
    »Was ist los?«
    »Du hast Besuch«, sagte Anna. »Elena Bakarova aus Lettland. Wir waren vor zwei Jahren bei ihr in Ventspils. Du weißt schon, die Schwiegertochter vom alten Sergej. Sie saß auf der Treppe vor deiner Wohnungstür, als ich heute Mittag noch mal vorbeikam.«
    »Ja, gut«, sagte ich perplex, »ich bin heute Abend um zehn

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