Mörderische Harzreise (German Edition)
trocken.«
»Und wer war in letzter Zeit bei dir zu Besuch?«
»Niemand, der lange genug hier war, um solch eine Veränderung vorzunehmen. So fachgerecht, wie das ausgeführt ist, benötigt man schon ein paar Stunden dafür. Der letzte Übernachtungsbesuch war meine Nichte Ella.«
»Was? Ella?«, rief Lilly ganz überrascht.
Ella war die Schwester von Hans-Ulrich Dünnbier, also ein Kind seines Bruders Eduard, der schon lange tot war. Der enterbte Bruder Ferdinands hatte nur seinen Pflichtteil bekommen und diesen dann ziemlich schnell durchgebracht. Dann war er unter mysteriösen Umständen in Mexiko gestorben. Das war jetzt über dreißig Jahre her. Seine Kinder Hans-Ulrich und Ella waren da aber schon erwachsen. Während Hans-Ulrich beruflich auf die Beine kam, tingelte Ella wie ein zu spät gekommener Hippie in der Welt herum. Viele Jahre hatten weder Hans-Ulrich noch Onkel Ferdinand etwas von ihr gehört. Und dann stand sie plötzlich vor ein paar Monaten vor der Tür. Im Schlepptau hatte sie einen Gammler, wie Ferdinand sich ausdrückte. Ella war jetzt an die fünfzig. Und besagter Gammler war vielleicht Anfang dreißig. Er bezeichnete sich als Künstler. Vorher waren die beiden bereits bei Hans-Ulrich aufgetaucht. Dieser, und vor allem seine Frau, hatten sie aber ganz schnell abblitzen lassen. Schließlich hatte Ferdinand seiner Nichte tausend Euro in die Hand gedrückt, und die beiden waren wieder abgezogen. Das waren ein paar sehr unangenehme und strapaziöse Tage gewesen.
»Könnte es sein, dass dieser Künstler sich an dem Bild zu schaffen gemacht hat?«
»Das glaube ich nicht. Warum hätte er das tun sollen? Natürlich bin ich den beiden die meiste Zeit aus dem Weg gegangen, weil sie einfach unerträglich waren. Dieses philosophische Gequatsche von Freiheit, Esoterik, Schöpfung und was weiß ich nicht alles, ist mir unheimlich auf die Nerven gegangen. Das sind in Wirklichkeit zwei faule Säcke, die sich auf Kosten anderer Leute ein leichtes Leben machen wollen, mehr nicht.«
»Ferdinand, wenn ich es richtig sehe, dann sind Hans-Ulrich und Ella deine Erben, sofern bei deinem Hinscheiden kein Testament vorliegt.«
»Das ist richtig. Und ich denke, ich sollte auch endlich ein Testament machen, sonst nistet sich eines Tages hier Ella mit ihrem gammligen Künstler ein. Allerdings fällt es mir auch nicht gerade leicht, Hans-Ulrich alles zu vermachen. Das heißt, ihm schon. Er ist ein patenter, netter und witziger Typ. Aber wenn ich an seine Frau Beate denke. Noch dazu haben sie immer diese penetrante Schwiegermutter im Schlepptau. Ich darf gar nicht daran denken, dass sie heute kommen. Ich hoffe nur, dass sie nicht so lange bleiben.«
»Ferdinand, hat Ella mit dir über Geld oder übers Erben gesprochen?«
»Ähm, nein, nicht direkt. Aber sie hat mir ihr Leid geklagt, wie schwer sie es in dieser materialistischen Welt hat. Ich denke, sie geht davon aus, dass sie etwas von mir erben wird.«
Lilly bekam ein ernstes Gesicht und griff nach seiner Hand. »Ferdinand, du könntest in Gefahr sein. Und Hans-Ulrich auch. Er vielleicht noch mehr als du. Stell dir vor, er stirbt. Dann ist sie automatisch deine einzige nahe Verwandte und beerbt dich.«
»Also, Lilly. Ich glaube nicht, dass Ella so abgebrüht ist und an Mord denkt.«
»Und ihr Typ?«
»Ich kann es dir nicht sagen. Außerdem, warum den Umweg über das Bild nehmen? Sie könnten doch erst Hans-Ulrich umbringen und dann mich. Deshalb müssen sie doch nicht an dem Bild herummalen.«
»Vielleicht denken sie ja, dass diese mysteriöse Geschichte sich ganz gut macht.«
Lilly hatte den Satz kaum zu Ende gesprochen, da fuhr vor dem Haus ein Auto vor.
»So ein Mist!«, entfuhr es Ferdinand. »Die Landplage ist im Anmarsch.«
Die bucklige Verwandtschaft
Recht dynamisch sprang Hans-Ulrich aus dem Wagen. Er war ein Mann von Anfang fünfzig. Mit seinem dunkel gefärbten, vollen Haar und in seiner legeren Kleidung sah er noch recht flott aus. Er winkte freundlich, als Lilly und sein Onkel Ferdinand aus der Haustür traten. Dann öffnete er die Beifahrertür und half seiner wohlbeleibten Schwiegermutter aus dem Wagen, die gekleidet war wie ein Paradiesvogel. Beate, seine Frau, die zehn Jahre jünger war als er, stieg mit einem sauertöpfischen Lächeln aus. Er ging auf Lilly zu und küsste sie auf beide Wangen: »Tante Lilly, wir haben uns ja ewig nicht gesehen. Gut siehst du aus. Immer noch schlank und frisch wie eh und je.«
»Oh, danke, du bist
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