Mörderische Harzreise (German Edition)
auch alt geworden, Hans-Ulrich.«
Lilly mochte Ferdinands Neffen. Er hatte einen Humor, der dem ihren ziemlich nahe kam. Seine Frau hatte sie nur einmal gesehen. Sie war Lilly unsympathisch. Seine Schwiegermutter kannte sie noch gar nicht.
Nachdem sich alle begrüßt hatten, nahm man auf der Terrasse hinter dem Haus Platz. Als Lilly fahren wollte, überredete Ferdinand sie, zum Essen zu bleiben: »Frau Kuhfuß hat doch gekocht. Das darfst du dir nicht entgehen lassen, Lilly.«
Frau Kuhfuß, mittlerweile eine Frau von Mitte sechzig, war Ferdinands Haushälterin, die seit vielen Jahren dafür sorgte, dass sein Haus immer adrett aussah und er etwas Gutes zu essen hatte. Sie war ein Original. Unfreundlich, aber gutmütig. Selbst wenn sie ihrer Meinung nach betont freundlich war, hörten sich ihre Kommentare an wie Befehle. Ferdinand mochte sie und hätte sich keine andere Frau vorstellen können, die für ihn sorgte. Sie kam und ging, wie es ihr passte. Seit vielen Jahren hatte sie Ferdinand nicht mehr gefragt, was er essen wollte. Was immer sie auf den Tisch stellte, aß er. Und damit war er zufrieden. Außerdem war Frau Kuhfuß nicht so etepetete. Sie konnte zupacken. In den Augen mancher Leute mochte sie wirken wie ein Trampel. Einfach gekleidet, halbe Schürze, wie die Arbeit es nun mal erforderte. Dazu kam ihr etwas finsterer Blick, der bei einem sensiblen Menschen durchaus die Frage aufkommen ließ, was er ihr getan haben könnte. Aber in Wirklichkeit war sie ein umgänglicher Mensch. Auch wenn ihre tiefe, meist etwas zu laute Stimme, gelegentlich etwas bedrohlich wirkte und das Gegenteil vermuten ließ.
Auf der Terrasse beklagte sich Schwiegermutter Elvira über die anstrengende Fahrt, als Frau Kuhfuß kam und laut „Tach“ sagte. Lilly erwiderte ihren Gruß und erkundigte sich nach ihrem Befinden. Hans-Ulrich stand auf und schüttelte der Frau die Hand, während Frau und Schwiegermutter pikiert dreinschauten. Frau Kuhfuß stellte eine Flasche Wasser und fünf Gläser auf den Tisch und sagte im Weggehen: »In einer halben Stunde gibt es was zu essen.«
Als sie gegangen war, bemerkte Elvira zu Ferdinand: »Na, da hast du dir ja eine Perle angelacht. Sie bestimmt, wann gegessen wird. Sie fragt nicht, was wir trinken wollen. Sie schenkt noch nicht mal die Getränke ein. Das Personal sagt, was gemacht wird.«
Ferdinand schaute nur kurz und missbilligend zu Elvira herüber. Es war ihm zu blöd, sich mit ihr über seine treue Haushälterin zu unterhalten.
Dann entspann sich eine Unterhaltung zwischen Lilly, Elvira und Beate. Elvira wollte wissen, in welchem Verhältnis sie zu Ferdinand stand, wo sie wohnte, ob sie Kinder hatte und so weiter.
Als Lilly dann erzählte, dass sie Lehrerin gewesen war, meinte Elvira: »Komisch, dass so viele Frauen Lehrerinnen sind, die selbst keine Kinder haben und daher gar nicht mitreden können, was Erziehung und Verantwortung überhaupt bedeuten. Die armen Kinder.«
Der Schlag saß. Lilly fragte naserümpfend: »Und was machen Sie beruflich?«
»Ich habe zusammen mit meinem Mann eine Firma gemanagt.«
Nun schaute Hans-Ulrich seine Schwiegermutter dümmlich lächelnd an, während Lilly sich weiter erkundigte: »Lassen Sie mich raten, in welcher Branche. Bestimmt im pädagogischen Bereich, da Sie ja so viel Erfahrung mit der Erziehung eines Kindes haben.«
»Nein, im Schaustellergewerbe.«
»Oh. Geisterbahn? Schießbude? Hau-den-Lukas?«
Jetzt musste Ferdinand laut lachen und Hans-Ulrich sagte: »Meine Schwiegermutter hat die Leute in der Geisterbahn erschreckt.«
»Du dummer Bengel! Deine Witze waren auch schon mal besser.« Und wieder an Lilly gewandt: »Wir hatten ein Riesenrad und eine moderne Berg- und Talbahn. Als Laie macht man sich ja gar keine Vorstellung, was das für eine Verantwortung ist, wieviel handwerkliches Know-How und betriebswirtschaftliches Wissen das voraussetzt. Mein Schwiegersohn war ja nicht in der Lage, diesen Job zu übernehmen. Er hat es lieber bequemer. Schnell alles verkaufen und dann im Büro herumsitzen und so tun, als ob man arbeitet.«
Lilly tat erstaunt und fragte nach: »Und was machen Sie heute? Sie sind doch noch so jung.«
»Was soll ich denn mit neunundfünfzig Jahren noch anfangen? In der Unterhaltungsbranche wollen alle nur junge Leute. Die sind billiger.«
»Haben Sie es mal in der Landwirtschaft versucht?«
Jetzt wurde Elvira giftig: »Wie bitte? Glauben Sie etwa, ich hocke mich auf die Knie und steche Spargel? Oder soll ich
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