Moerderische Kuesse
NICHT‐BERÜHREN‐Signal aus, aber soweit er feststellen konnte, geschah das eher aus Selbstschutz als aus Gefühlskälte. Sie war kein bisschen kalt, nur vorsichtig.
Vielleicht war er verrückt, sie so scharf zu finden, aber scheiß drauf, manche männlichen Spinnen ließen sich den Kopf abbeißen, während sie ihre Weibchen zu bespringen versuchten. Verglichen damit hatte er sich wacker geschlagen: Lily hatte ihn noch nicht umgebracht.
Er wollte wissen, wie sie tickte, was sie zum Lachen brachte.
Ja, er wollte sie definitiv zum Lachen bringen. Sie sah aus, als hätte sie in letzter Zeit nicht viel zu lachen gehabt, und jeder Mensch brauchte etwas, worüber er sich freuen konnte. Er wollte, dass sie sich entspannte und in seiner Nähe die unsichtbaren Mauern vergaß, dass sie lachte, ihn neckte, Witze riss, ihn liebte. Er hatte mehr als einmal ihren spröden Humor aufblitzen sehen, und er sehnte sich nach mehr.
Er war schon jetzt total besessen von ihr, daran war nicht zu rütteln. Vielleicht würde er ja doch noch seinen Kopf verlieren und glücklich sterben.
Ein Gentleman hätte bestimmt nicht die Verführung einer Frau geplant, die er aus dem Verkehr ziehen sollte, aber er war noch nie ein Gentleman gewesen. Er war als verdreckter Rowdy in Westtexas aufgewachsen, hatte sich geweigert, auf die Erwachsenen zu hören, die immer alles besser wussten, und Amy geheiratet, als beide kaum achtzehn und gerade mit der Highschool fertig gewesen waren. Mit neunzehn war er Vater geworden, aber er hatte es nie geschafft, ruhiger zu werden. Betrogen hatte er Amy nie, schließlich war sie eine wunderbare Frau, aber er war auch nie wirklich für sie da gewesen. Erst jetzt, auf seine alten Tage, hatte er so was wie Verantwortungsgefühl entwickelt und schämte sich im Nachhinein, weil er sie mehr oder weniger mit zwei Kindern allein gelassen hatte. Er konnte sich höchstens zugute halten, dass er seine Familie auch nach der Scheidung immer finanziell unterstützt hatte.
Im Lauf der Jahre war er viel herumgekommen und hatte sich eine gewisse Weltgewandtheit angeeignet, aber zu einem wahren Gentleman gehörte mehr als nur gute Manieren und die Fähigkeit, in drei verschiedenen Sprachen eine Speisekarte zu lesen. Tief im Herzen war er immer noch ein Rowdy, er bog die Regeln noch heute zurecht, und er hatte eine echte Schwäche für Lily Mansfield. Ihm waren nicht viele Frauen begegnet, die es mit ihm aufnehmen konnten, aber Lily gehörte dazu; ihre Persönlichkeit war nicht weniger stark als seine. Sie entschied selbst, was sie tun wollte, und sie ließ sich durch keine Katastrophe von ihrem Vorhaben abbringen. Ein eisernes Rückgrat hatte sie, aber gleichzeitig strahlte sie feminine Wärme und Zartheit aus. Sie wirklich kennen zu lernen würde ein ganzes Leben in Anspruch nehmen. Ein ganzes Leben hatte er nicht übrig, aber er würde sich so viel Zeit lassen wie nur möglich. Er hatte so eine Ahnung, dass ein paar Tage mit Lily zehn Jahre mit einer anderen Frau aufwiegen konnten.
Die große Frage war nur: Was sollte er hinterher tun?
Blanc verkrampfte sich unwillkürlich, als am nächsten Morgen das Telefon klingelte. »Wer kann das sein?«, fragte seine Frau, leicht verärgert über die Störung beim Frühstück.
»Jemand aus dem Büro, nehme ich an«, antwortete er und stand auf, um den Anruf auf der Terrasse entgegenzunehmen.
Er drückte auf die Sprechtaste und meldete sich: »Blanc am Apparat.«
»Monsieur Blanc.« Die Stimme war weich und ruhig und ihm fremd. »Mein Name ist Damone Nervi. Haben Sie die Nummer, die mein Bruder wollte?«
»Keine Namen«, flüsterte Blanc nur.
»Selbstverständlich. Dieses eine Mal erschien es mir notwendig, da wir noch nie miteinander gesprochen hatten.
Haben Sie die Nummer?«
»Noch nicht. Offenbar gibt es Schwierigkeiten –«
»Beschaffen Sie sie. Heute noch.«
»Wir haben eine Zeitverschiebung von sechs Stunden. Ich kann sie frühestens heute Nachmittag bekommen.«
»Ich warte.«
Blanc legte auf und blieb mit geballten Fäusten stehen. Diese verfluchten Nervis! Der hier sprach besser Französisch als der andere, und er klang höflicher, aber im Grunde waren sie alle gleich: Barbaren.
Er würde ihnen die Nummer geben müssen, aber er würde Rodrigo begreiflich machen müssen, dass es kein guter Gedanke war, den CIA‐Mann anzurufen, weil das im Endeffekt dazu führen könnte, dass er und sein Verbindungsmann verhaftet würden. Vielleicht hätten sie auch Glück, und der
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