Moerderische Kuesse
Kuss auf die Stirn. Manchmal konnte er ihr erzählen, was er tat, manchmal nicht, darum stellte sie ihm keine weiteren Fragen, wenn sie ihr auch offensichtlich auf der Zunge brannten.
»Du hättest wenigstens was anziehen können, bevor du nach draußen gehst«, schalt sie ihn liebevoll.
Nicht einmal zwei Stunden später klingelte Blancs Handy wieder. Schnell schnappte er sich einen Stift, fand aber keinen Zettel. »Das war nicht einfach, mein Freund«, hörte er die Stimme
sagen.
»Hat
was
mit
den
verschiedenen
Sicherheitsstufen zu tun. Ich musste ganz schön tief graben, um die Nummer zu finden.« Er las sie ab, und Blanc kritzelte sie auf seine linke Hand.
»Danke«, sagte er knapp. Nach dem Auflegen fand er endlich ein Papier und schrieb die Nummer ab, bevor er seine Hände wusch.
Natürlich hätte er Rodrigo Nervi sofort anrufen sollen, aber er tat es nicht. Stattdessen faltete er den Zettel zusammen und steckte ihn in die Tasche. Vielleicht würde er morgen anrufen.
Als Lily das Hotel verließ, wollte ihr Swain schon zu ihrem Unterschlupf folgen, entschied sich aber dann dagegen. Nicht weil er Angst hatte, sie könnte ihn entdecken; das würde nicht passieren. Sie war zwar gut, aber er war verflucht gut.
Eigentlich folgte er ihr nicht, weil er ein komisches Gefühl dabei hatte. Es war verrückt, aber er wollte, dass sie ihm vertraute. Immerhin war sie zu ihm gekommen, was schon mal ein Anfang war. Sie hatte ihm auch ihre Handynummer gegeben, und er hatte ihr seine gegeben. Komisch, aber das kam ihm fast so vor, wie in der Highschool einem Mädchen einen Freundschaftsring zu schenken.
Vinays Auftrag hatte er immer noch nicht erledigt. Er schob ihn erneut auf, teils aus Neugier, teils, weil sie allein gegen Giganten kämpfte und jede nur erdenkliche Hilfe brauchen konnte, und teils, weil er ernsthaft daran interessiert war, sie ins Bett zu kriegen. Sie spielte ein gefährliches Spiel mit Rodrigo Nervi, und Swain als alter Adrenalinjunkie wollte liebend gern mitspielen. Eigentlich hätte er sie so schnell wie möglich aus der Gleichung herauskürzen sollen, aber stattdessen wollte er erfahren, was in diesem Labor vor sich ging. Wenn er das schaffte, würde ihn Frank Vinay vielleicht nicht zum Schreibtischjockey degradieren, auch wenn er seinen Job nicht gleich erledigt hatte, als er Lily das erste Mal begegnet war.
Vor allem aber begann ihm die Mission Spaß zu machen. Er wohnte in einem fantastischen Hotel, er fuhr einen heißen Wagen und speiste jeden Tag französisch. In den letzten zehn Jahren hatte er oft genug bis zum Hals in den verschiedensten Latrinen gehockt, um etwas Spaß verdient zu haben.
Lily war eine echte Herausforderung. Sie war vorsichtig und geschickt und dabei eine echte Draufgängerin, und er vergaß keine Sekunde lang, dass sie einer der besten Auftragskiller in Europa war. Scheiß drauf, dass sie früher mal, bevor sie Salvatore Nervi nachgestiegen war, himmelhohe Ideale gehabt und ausschließlich böse Buben zum Schweigen gebracht hatte; ihm war durchaus bewusst, dass er sich in ihrer Nähe keinen einzigen falschen Schritt erlauben durfte.
Gleichzeitig kam sie ihm vor wie ein armes Waisenkind; sie trauerte um ihre Freunde und um das junge Mädchen, das sie als ihr Kind angesehen hatte. Swain dachte an seine Kinder und stellte sich vor, was er empfinden würde, wenn eines davon ermordet würde. Auf gar keinen Fall würde er den Mörder ungeschoren davon‐ oder auch nur vor Gericht kommen lassen, ganz egal, wer es war. In diesem Punkt hatte sie sein vollstes Verständnis, was aber nichts daran änderte, wie diese Geschichte letztendlich ausgehen würde.
An jenem Abend lag er im Bett und malte sich aus, wie sie beinah den vergifteten Wein getrunken hatte, nur damit Salvatore Nervi nicht mit Trinken aufhörte. Verflucht noch mal, sie hatte echt mit dem Tod geflirtet. Aus dem, was sie ihm über das Gift und seine Wirkung erzählt hatte, schloss er, dass sie harte Zeiten hinter sich hatte und wahrscheinlich immer noch geschwächt war. Auf gar keinen Fall würde sie allein in dieses Labor gelangen, nicht in ihrer Verfassung, und darum hatte sie ihn wahrscheinlich angerufen. Was sie letztendlich angetrieben hatte, war ihm im Grunde egal; er war einfach froh, dass sie es getan hatte.
Sie begann, ihm allmählich zu vertrauen. Sie hatte in seinen Armen geweint, und er hatte das Gefühl gehabt, dass sie nicht oft jemanden so nahe an sich heranließ. Sie strahlte ein fühlbares
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