Mörderische Weihnacht
werde für Euch sprechen, falls jemand fragen sollte. Aber was hättet Ihr schon zu berichten? Ich weiß ja, daß Ihr schon vor der Mitternachtsmesse in der Kirche wart.« Und er wußte, wo der Junge später gewesen war, und wahrscheinlich nicht einmal allein, aber er sagte nichts dazu. »Wurde darüber gesprochen, wie Frau Hammet in Zukunft versorgt werden soll? Sie ist nun bis auf Euch völlig allein, und sie ist hier fast noch eine Fremde.
Aber sicher wird Abt Radulfus dafür sorgen, daß sie nicht ohne Freunde bleibt.«
»Er kam selbst, um mit ihr zu sprechen«, sagte Benet, und einen Moment kehrte ein schwacher Abglanz seines gewohnten Strahlens zurück, als er an die Freundlichkeit des Abtes dachte.
»Er sagte, sie solle sich keine Sorgen machen, denn sie sei in gutem Glauben gekommen, um der Kirche nach Kräften zu dienen, und deshalb werde die Kirche sich darum kümmern, daß sie versorgt werde. Sie soll im Haus wohnen bleiben und es unterhalten, bis einem neuen Priester das Amt übertragen wird, und dann könne man weitersehen. Also wird sie auf keinen Fall abgeschoben.«
»Gut! Dann könnt ihr zwei jetzt unbesorgt ruhen. So schrecklich diese Angelegenheit auch ist, es ist weder Eure noch ihre Schuld, und Ihr sollt nicht länger darüber brüten.«
Darauf sahen ihn beide mit gefaßten, erschrockenen Gesichtern an, die weder Kummer noch Trost zeigten, nur betäubte Hinnahme. »Bleibt daheim und schlaft, wenn Ihr das könnt«, sagte er zu Benet. »Sie wird froh sein, wenn sie Euch heute nacht in der Nähe hat.«
Benet sagte darauf weder Ja noch Nein, und auch die Frau schwieg. Sie ging still aus dem Vorraum des Torhauses, wo sie den Morgen über in Ungewißheit gewartet hatten, und überquerten die breite Hauptstraße der Vorstadt, um gegenüber in der schmalen Gasse zu verschwinden, die zwischen den engen Mauern noch von Reif überzogen war.
Cadfael war nicht sehr überrascht, als Benet schon eine Stunde später zurückkam, statt von der Erlaubnis Gebrauch zu machen, über Nacht auszubleiben. Er suchte und fand Cadfael im Garten. Cadfael saß ausnahmsweise müßig in seiner Hütte an der glühenden Kohlenpfanne. Der Junge setzte sich schweigend neben ihn und seufzte schwer.
»Nun gut!« sagte Cadfael, durch das Geräusch aus seinen Gedanken gerissen. »Wir sind heute alle ziemlich aufgeregt, und das ist kein Wunder. Aber es gibt gewiß keinen Grund, Euch mit Vorwürfen zu quälen. Habt Ihr Eure Tante allein gelassen?«
»Nein«, sagte Benet. »Eine Nachbarin ist bei ihr; allerdings glaube ich, daß sie über diese freundliche Aufmerksamkeit nicht sehr froh ist. Ich glaube, daß bald noch mehr kommen werden, die vor Neugierde platzen und versuchen werden, ihr die Geschichte aus der Nase zu ziehen. Nicht, weil sie bekümmert sind, wie ich derjenigen ansah, die bei ihr blieb. Sie schnattern in der ganzen Gemeinde wie die Spatzen, und sie werden bis zum Abend nicht aufhören.«
»Sie werden sicher bald aufhören«, erwiderte Cadfael trocken, »wenn Alan Herbard oder einer seiner Offiziere ein Wort dazu sagt. Sobald sich auch nur ein Soldat dort blicken läßt, werden sie verstummen. Niemand in der Vorstadt wird noch etwas wissen, wenn erst Fragen gestellt werden.«
Benet rückte unruhig auf der Holzbank herum, als fühlten sich eher seine Knochen als sein Geist unbehaglich. »Ich habe nie recht verstanden, warum er den Menschen so verhaßt war.
Glaubt Ihr wirklich, daß sie so fest zusammenhalten, daß sie nichts verraten, selbst wenn sie wissen, wer ihn umbrachte?«
»Ja, das glaube ich. Denn es gibt dort kaum einen, der nicht denkt, er hätte es nicht auch selbst tun können, und der nicht für diese Gnade Gottes dankbar wäre. Aber das soll Euch nicht weiter kümmern. Es sei denn, Ihr habt ihm den Kopf eingeschlagen«, sagte Cadfael freundlich. »Wart Ihr es?«
»Nein«, erwiderte Benet ebenso direkt. Er starrte seine gefalteten Hände an, dann blickte er sehr neugierig auf: »Aber warum seid Ihr so sicher?«
»Nun, zuerst einmal, weil ich Euch schon vor der Mitternachtsmesse in der Kirche sah, und obwohl man nicht sicher sein kann, wann Ailnoth ins Wasser gelangte, würde ich doch sagen, daß es wahrscheinlich später war. Zweitens, weil ich keinen Grund wüßte, warum Ihr einen Groll gegen ihn hegen solltet, und Ihr erwähntet ja selbst Eure Überraschung darüber, daß man ihn so haßte. Aber drittens und vor allem anderen, weil ich Euch gut genug kenne, mein Junge. Wenn Ihr Euch
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