Mörderische Weihnacht
Vorstadt blind, taub und stumm stellen würde. Man bekommt den Eindruck, daß die ganze Gemeinde am Weihnachtsabend entvölkert war. Alle waren angeblich nur draußen, um zur Kirche zu eilen, und niemand hätte an diesem Abend irgendeinen anderen auf den Straßen gesehen. Ein Fremder mußte kommen, damit wir erfuhren, daß es doch einiges verstohlenes Hin und Her zu einer unchristlichen Stunde gegeben hat, aber ich schenke dem nicht allzugroßen Glauben. Wie ist es Euch ergangen?«
Cadfael hatte sich schon selbst Gedanken darüber gemacht, seit er Diota verlassen hatte, und er sah keine Möglichkeit, Hugh zu verheimlichen, was er inzwischen wußte. Er hatte nicht Geheimhaltung, sondern nur Diskretion gelobt, und er war es Hugh schuldig, ihn zu unterstützen und zugleich der Frau aus der Falle ihrer eigenen Hingabe zu helfen.
»Vielleicht besser, als ich es verdient habe«, erwiderte er etwas düster. Er stellte ein Tablett mit Pillen fort, damit sie trocknen konnten, und setzte sich neben seinen Freund.
»Wenn Ihr nicht zu mir gekommen wärt, Hugh, dann hätte ich Euch aufgesucht. Gestern abend wurde mir endlich klar, was ich an jenem Abend in Ailnoths Besitz gesehen hatte, das wir am nächsten Tag nicht mehr fanden und auch nicht suchten, als wir ihn tot zurückbrachten. Zwei Dinge waren es sogar. Das erste fand ich allerdings nicht selbst, sondern ich erhielt es von einem der kleinen Jungen, die am Weihnachtsmorgen hoffnungsvoll zum Teich hinuntergingen, weil sie glaubten, er wäre überfroren. Wartet einen Augenblick, ich werde Euch beides holen, und dann sollt Ihr alles hören.«
Er brachte die beiden Gegenstände und zog die Lampe näher, um Hugh das Detail zu zeigen, das so viel oder so wenig bedeutete.
»Diese Mütze fanden die Kinder im Flachwasser im Schilf. Ihr seht, daß die Nähte hier aufgelöst sind, und das Band hat sich gelockert. Und der Stab - den habe ich erst heute morgen entdeckt, fast genau gegenüber der Stelle, an der wir Ailnoth fanden.« Er erzählte die Geschichte einfach und wahrheitsgemäß, doch ohne Ninians Namen zu nennen.
Allerdings würde ihm auch dies nicht erspart bleiben. »Ihr seht, daß das Silberband hier vom langen Gebrauch abgegriffen und hauchdünn ist. Die Ränder sind schartig und ausgerissen.
Diese Kerbe hier…« Er legte seine Fingerspitze auf die rasiermesserscharfen Spitzen. »Dort habe ich das hier gefunden.«
Er hatte einen winzigen Klecks Fett in eine Tonschale gegeben, in welcher er sonst Samen sortierte, um die gefundenen Haare festzukleben, damit sie nicht durch einen Luftzug fortgeweht wurden.
Im gelben Schein der nahe herangezogenen Lampe waren die Haare deutlich zu sehen.
Cadfael zog eins aus dem Fett und spannte es zu seiner vollen Länge.
»Ein derart zackiger Metallrand könnte fast überall ein herumfliegendes Haar einfangen«, sagte Hugh, wenn auch nicht besonders überzeugt.
»Das ist möglich, aber hier sind gleich fünf, und alle an der gleichen Stelle festgehalten. Und damit sieht die Sache schon anders aus. Nun?«
Auch Hugh legte nun einen Finger auf die glänzenden Fädchen und sagte Nachdenklich: »Eine Frau. Nicht mehr jung.«
»Ob Ihr es schon wißt oder nicht«, sagte Cadfael, »an diesem Wirrwarr sind nur zwei Frauen beteiligt. Die eine ist jung und wird, so Gott will, erst in vielen, vielen Jahren grau werden.«
»Ich glaube«, erwiderte Hugh, indem er ihn mit einem schwachen, klugen Lächeln beäugte, »Ihr solltet mir lieber alles sagen. Ihr wart von Anfang an hier. Ich bin erst später dazugekommen und hatte eine zweite Angelegenheit zu erledigen, die mich von der ersten abhielt. Ich bin nicht daran interessiert, den jungen Bachiler daran zu hindern, nach Gloucester zu fliehen, damit er für seine Kaiserin kämpfen kann, solange er nichts auf dem Gewissen hat, das mein Amt beträfe. Allerdings bin ich sehr daran interessiert, morgen gleichzeitig mit Ailnoths Begräbnis den häßlichen Mord zu begraben, falls mir das möglich ist. Stadt und Vorstadt sollen wieder ruhig ihrem Tagewerk nachgehen können. Der Weg muß für einen neuen Priester geebnet werden, und ich will hoffen, daß er einer wird, mit dem sich besser leben läßt. Mir fällt zu diesen Haaren ein, daß sie vom Kopf der Frau Diota Hammet stammen. Ich habe diese Frau noch nicht bei gutem Licht gesehen und weiß nicht, ob es ihre Haarfarbe ist, aber selbst drinnen war die Prellung auf ihrer Stirn gut zu sehen. Sie sei auf der vereisten Türschwelle
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