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Mörderische Weihnacht

Mörderische Weihnacht

Titel: Mörderische Weihnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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auch nicht erlauben, seinen Fingern irgendeinen Hinweis entschlüpfen zu lassen. Er eilte durch die Pforte in der Abteimauer und über den großen Hof zu seiner Hütte im Kräutergarten. Die Tür ließ er offenstehen, damit er Licht hatte, doch er zündete außerdem einen kleinen Holzspan in der Kohlenpfanne an und entfachte seine kleine Lampe, um die Trophäe genau zu untersuchen.
    Das handlange Hornstück, hellbraun und von tiefen, dunkelbraunen Furchen durchzogen, war schwer und vom jahrelangen Gebrauch poliert, die leichte Krümmung paßte sich gut in die Hand ein. Das Silberband war daumenbreit, und die eingravierten, halb abgegriffenen Weinblätter reflektierten das gelbe Licht der Lampe, während Cadfael vorsichtig die Feuchtigkeit abtupfte und den Stab dicht vor die Flamme hielt.
    Das Silber war dünn wie Gaze geworden und so brüchig, daß es an den Rändern stellenweise zu rauhen Kanten, scharf wie Messerklingen, ausgefranst war. Cadfael ritzte sich beim Trockenputzen einen Finger, bevor er die Gefahr erkannte.
    Es war eine prächtige Waffe, mit der Vater Ailnoth die aufsässigen Kinder geprügelt hatte, wenn sie an seiner Hauswand spielten, und zweifellos hatte er mit dem Stock auch die Rippen oder Schultern jener unglücklichen Schüler angestoßen, die ihre Lektionen nicht perfekt gelernt hatten.
    Cadfael drehte den Stab im Lampenlicht langsam in den Händen und schüttelte den Kopf über die Sünden des Tugendhaften. Dabei sah er plötzlich das kurze Glitzern eines feuchten Tropfens, der etwa einen Zoll vom Silberrand entfernt der Drehung folgte. Er vergewisserte sich hastig und drehte den Stab in die andere Richtung, und die funkelnde Perlenkette erschien wieder. Ein einziger, winziger Tropfen, der nicht am Metall, sondern an einem feinen Faden hing, der seinerseits vom Metall festgehalten wurde; etwas, das als silberner Bogen auftauchte und wieder verschwand. Er wickelte auf der Fingerspitze ein langes, ergrautes Haar auf und zog es heraus, bis es Widerstand leistete. Es hatte sich an einer scharfen Kante des Silbers verfangen. Und es war nicht nur ein Haar, denn nun kam noch ein zweites heraus und danach ein drittes, die alle zusammen in der winzigen Kerbe gesteckt hatten.
    Er brauchte eine Weile, um sie aus dem Spalt im unteren Rand des Silberbands zu lösen. Insgesamt waren es sogar fünf und ein paar abgerissene Enden. Es war schönes braunes Haar, teilweise silbern ergraut und viel zu lang für eine Tonsur.
    Viel zu lang auch für einen Mann, es sei denn, er trug sein Haar ungepflegt und ungeschnitten. Wenn es noch andere Zeichen gegeben hatte, etwa Blut oder abgeschürfte Haut oder Fäden aus einem Tuch, dann hatte das Wasser sie fortgespült. Aber diese Haare, die im schartigen Metall festgesteckt hatten, legten endlich ein klares Zeugnis ab.
    Cadfael fuhr sachte mit der Hand über den Stab und spürte die Nadelstiche von drei oder vier rauhen Stellen im Silber. Die tiefste dieser Kerben hatte die fünf kostbaren Haare mit Gewalt von einem Kopf gerissen. Vom Kopf einer Frau!
     
    Diota öffnete ihm die Tür, und als sie ihren Besucher erkannte, schien sie zu zögern, ob sie die Tür weiter öffnen und beiseitetreten sollte, um ihn einzulassen, oder ob sie stehenbleiben und jedes längere Gespräch unterbinden sollte, indem sie ihn auf der Türschwelle abfertigte. Ihr Gesicht war verschlossen und ruhig, und ihr Gruß klang eher resigniert als einladend. Aber das Zögern dauerte nur einen kurzen Augenblick. Dann trat sie ergeben ins Zimmer zurück, und Cadfael folgte ihr hinein und schloß die Tür. Es war früh am Nachmittag, das Licht war so gut, wie es an diesem Tag nur werden würde, und das Feuer im tönernen Herd brannte hell und klar und fast rauchlos.
    »Frau Hammet«, sagte Cadfael, kaum mehr als ein Meter halbdunkler, warmer Luft zwischen ihren Gesichtern, »ich muß mit Euch reden, und was ich zu sagen habe, betrifft auch das Wohlergehen von Ninian Bachiler, den Ihr, wie ich weiß, sehr schätzt. Er hat mich ins Vertrauen gezogen, falls mir das auch das Eure eröffnet. Nun setzt Euch und hört mir zu und glaubt an meinen guten Willen, denn Ihr habt nichts auf Eurem Gewissen außer der Zuneigung in Eurem Herzen. Und die hat Gott schon klar erkannt, bevor ich den Schlüssel erhielt.«
    Sie wandte sich abrupt ab, doch ihre Haltung sprach eher für Ausgeglichenheit und Entschlossenheit als für Schreck und Furcht. Sie setzte sich auf die Bank, auf der Sanan bei seinem ersten Besuch

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