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Mörderische Weihnacht

Mörderische Weihnacht

Titel: Mörderische Weihnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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gesessen hatte. Sie hielt sich aufrecht und zog die Schultern hoch, legte die Ellbogen an die Seiten und stellte die Füße fest auf den Boden.
    »Wißt Ihr, wo er ist?« fragte sie leise.
    »Das weiß ich nicht, doch er wollte es mir sagen. Bleibt ruhig, ich habe erst gestern abend mit ihm gesprochen. Ich weiß, daß er gut aufgehoben ist. Was ich zu sagen habe, hat mit Euch zu tun und mit dem, was am Weihnachtsabend geschah, bevor Vater Ailnoth starb. Ich meine den Tag, an dem Ihr… an dem Ihr auf dem Eis ausgeglitten seid.«
    Sie war schon überzeugt, daß er etwas wußte, das sie vor dem Licht zu verbergen gehofft hatte, aber sie wußte nicht, was es war. Sie schwieg, erwiderte ruhig seinen Blick und überließ es ihm, das Gespräch weiterzuführen.
    »Ausgeglitten, ja! Das habt Ihr sicher nicht vergessen. Ihr seid auf der vereisten Straße ausgeglitten und mit dem Kopf an die Türschwelle geschlagen. Ich habe Eure Wunde versorgt und sah sie gestern noch einmal. Sie ist gut verheilt, aber die Prellung und eine Narbe, wo die Haut aufgeplatzt war, sind noch zu sehen. Nun hört, was ich heute morgen im Mühlteich fand. Vater Ailnoths Stab fand ich, der ans gegenüberliegende Ufer getrieben war, und verfangen im Silberbeschlag, wo die dünnen Kanten umgebogen, rissig und scharf sind, fand ich fünf lange Haare, die Eure sein könnten. Ich habe Eure Haare aus der Nähe gesehen, als ich die Wunde säuberte, und ich weiß, daß einige Haare abgerissen sind. Ich habe die fehlenden Stücke bei mir.«
    Sie legte die Hände vors Gesicht, und die langen, abgearbeiteten Finger preßten sich fest auf Wangen und Schläfen.
    »Warum verbergt Ihr Euer Gesicht?« sagte er beruhigend.
    »Nicht Ihr habt gesündigt.«
    Nach einer Weile hob sie das tränenlose Gesicht und starrte ihn bleich und besorgt durch die schützenden Finger an. »Ich war hier«, sagte sie langsam, »als der Edelmann kam. Ich erkannte ihn wieder, und ich wußte, warum er hier war. Warum sonst hätte er kommen sollen?«
    »Ja, warum! Und als er fort war, wandte sich der Priester gegen Euch. Machte Euch Vorwürfe, beschimpfte Euch vielleicht sogar, weil Ihr bei einem Verrat geholfen hättet, weil Ihr gelogen und ihn getäuscht hättet… Wir kannten ihn gut genug, um zu wissen, daß er nicht zur Gnade neigte und keine Entschuldigung und kein Flehen anhören wollte. Bedrohte er Euch? Sagte er, er würde zuerst Euer Pflegekind zerschmettern und Euch danach der Schande überlassen?«
    Sie fuhr auf. Dann sagte sie würdevoll: »Ich habe den Jungen an meiner eigenen Brust genährt, nachdem mein eigenes Kind tot geboren worden war. Er hatte eine kränkliche Mutter, die arme junge Frau. Als er zu mir kam, da war es, als wäre mein eigener Sohn in der Not gekommen. Glaubt Ihr, ich kümmerte mich darum, was er - ich meine meinen Herrn - mir antun könnte?«
    »Nein, ich glaube Euch«, erwiderte Cadfael. »Ihr habt nur an Ninian gedacht, als Ihr an jenem Abend hinter Vater Ailnoth hinausgegangen seid, um ihn davon abzuhalten, den Jungen zu stellen und zu verraten. Ihr seid ihm doch gefolgt, oder? Ihr müßt ihm gefolgt sein. Wie sonst hätte ich Eure Haare in diesem Silberbeschlag am Stab finden können? Ihr seid ihm gefolgt und habt ihn angefleht, und er hat Euch geschlagen. Er hat den Stab als Keule benutzt und ihn Euch auf den Kopf geschlagen.«
     
    »Ich habe mich an ihn geklammert«, sagte sie, jetzt mit steinerner Ruhe. »Ich fiel vor ihm im frostigen Gras bei der Mühle auf die Knie, klammerte mich an seine Gewänder, seine Robe, um ihn aufzuhalten, und wollte nicht loslassen. Ich betete, ich flehte, ich bat ihn um Gnade, aber er hatte keine. Ja, er schlug mich. Er konnte es nicht ertragen, auf diese Weise aufgehalten und gestört zu werden. Es machte ihn zornig, und er hätte mich sogar töteten können. Das fürchtete ich jedenfalls.
    Ich wehrte seine Schläge ab, aber ich wußte, daß er wieder schlagen würde, wenn er mich nicht loswurde. Also ließ ich los und kam wieder auf die Füße, Gott weiß wie, und rannte fort.
    Und das war das letzte Mal, daß ich ihn lebend sah.«
    »Und Ihr habt dort keinen anderen Menschen gesehen oder gehört? Ihr habt ihn allein und gesund verlassen?«
    »Ich sage die Wahrheit«, erklärte sie kopfschüttelnd. »Ich habe niemanden sonst gehört oder gesehen, auch nicht, als ich wieder in der Vorstadt war. Aber weder meine Augen noch meine Ohren waren sehr klar. Mein Kopf brummte, und ich war sehr verzweifelt. Ich wußte nur,

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