Mörderische Weihnacht
denn die Frühmesse sollte lang und ermüdend werden.
»Morgen kommt ein neues Jahr«, sagte Bruder Edmund, der Krankenwärter, »und ein neuer Anfang.«
»Amen!« antworteten einige Brüder, wohl eher aus Gewohnheit als aus Überzeugung, aber Cadfael stolperte über das Wort. ›Amen‹ sagt man eher angesichts eines Endes oder einer Auflösung, wenn man den Frieden wiedergefunden hat, aber bisher war beides noch in weiter Ferne.
Eine Meile westlich von Cadfaels Bett in der schmalen Zelle im Dormitorium lag Ninian im weichen Heu auf dem Dachboden einer gut gefüllten Scheune, eingerollt in den Mantel, den Sanan ihm gebracht hatte, und noch von ihrer Wärme in seinen Armen erfüllt, obwohl sie schon ein oder zwei Stunden fort war.
Sie mußte rechtzeitig ihr Pony in den Stall im Stadthaus zurückbringen, ehe ihr Stiefvater vom Abendgottesdienst in St.
Chad zurückkehrte. Ninian hatte sie gedrängt, sich nicht allein hinauszuwagen, doch er hatte ihr nichts zu befehlen, und sie tat, was sie tun wollte, denn anscheinend war sie ohne jede Ängstlichkeit auf diese Welt gekommen. Die Scheune, in der er lag, gehörte den Giffards, die hier am Waldrand auf den Wiesen Vieh stehen hatten; doch der ältere Knecht, der das Vieh hütete, stammte aus Sanans eigenem Haushalt und war ihr treuer und ergebener Diener. Die beiden guten Pferde, die sie gekauft und hier untergestellt hatte, erfreuten sein Herz, und er würde sein Leben lang stolz und froh darüber sein, daß er in Sanans Heiratspläne eingeweiht worden war.
Sie war gekommen und hatte mit Ninian im Heu gelegen, eng im Mantel zusammengerollt und in fester Umarmung; nicht der körperlichen Freude wegen, sondern eher, damit er es gut hatte und Trost fand. Gemütlich wie Haselmäuse im Winterschlaf, lebendig und wach genug, um sich über die Behaglichkeit zu freuen, hatten sie fast eine Stunde geredet, und nun, da sie ihn verlassen hatte, umarmte er die Erinnerung an sie und bezog daraus eine Wärme, die ihn die ganze Nacht glühen ließ. Eines Tages, eines Nachts, betete er, würde sie nicht mehr aufstehen und ihn alleinlassen, er würde nicht mehr die widerstrebenden Arme öffnen müssen, um sie gehen zu lassen, und es würde eine vollkommene, liebliche Nacht sein, dunkel und voller Sterne und Feuer. Aber jetzt lag er allein und hatte Sehnsucht, sorgte sich etwas um sie und um den nächsten Tag, um seine Schuld, die er, wie er fürchtete, nur unzureichend zurückzahlen konnte. Das Haar über seine Wangen fließend, ihr Atem warm an seinem Hals, hatte sie ihm alles erzählt, was in diesen letzten Tagen des alten Jahres geschehen war: wie Bruder Cadfael den Ebenholzstab gefunden hatte, wie er Diota besucht und ihr ihre Geschichte entlockt hatte, daß Vater Ailnoths Beerdigung am nächsten Tag nach der Gemeindemesse stattfinden sollte. Und als er in seiner Sorge um Diota auffuhr, hatte sie ihn wieder heruntergezogen, ihm die Arme um den Hals gelegt und ihm erzählt, daß er sich nicht zu sorgen brauche, da sie Diota versprochen habe, mit ihr zur Begräbnismesse des Priesters zu gehen und sich um sie ebensogut zu kümmern, wie er selbst es vermocht hätte. Und sie hatte ihm verboten, sich aus seinem Versteck zu rühren. Er sollte sich verborgen halten, bis sie wieder zu ihm kam.
Aber genau wie sie eine Dame war, deren Verbote man nicht leichtfertig mißachtete, war er ein Mann, der sich nicht leicht etwas verbieten ließ.
Dennoch hatte sie ihm das Versprechen abgerungen, zu warten, wie sie es verlangte, falls nicht etwas Unvorhergesehenes geschah, das sein Eingreifen erforderte.
Und damit mußte sie sich zufriedengeben, und sie hatten das Abkommen mit einem Kuß besiegelt und alle Ängste beiseitegeschoben, um über die Zukunft zu flüstern. Wie viele Meilen bis zur walisischen Grenze? Zehn? Sicher nicht viel mehr.
Und Powys mochte ein wildes Land sein, aber es war für einen Soldaten der Kaiserin nicht feindlicher als für einen Offizier des Königs Stephen. In diesem Land ergriff man instinktiv eher für den Flüchtigen als für die Vertreter des englischen Gesetzes Partei. Außerdem hatte Sanan über eine walisische Großmutter, die ihr den unenglischen Namen vererbt hatte, entfernte Verwandte in diesem Land.
Und sollten sie herrenlosen Männern in den Wäldern begegnen, dann würde Ninian schon mit ihnen fertigwerden, denn im Heu waren ein gutes Schwert und ein langer Dolch versteckt. Die Waffen hatte einst John Bernieres bei der Belagerung von Shrewsbury
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