Mörderische Weihnacht
getragen, bei welcher er den Tod gefunden hatte. Sie würden ihnen bestimmt helfen, die Reise sicher zu überstehen, und in Gloucester wollten sie dann in aller Öffentlichkeit und in allen Ehren heiraten.
Nur, daß sie nicht gehen konnten, noch nicht; nicht, solange er nicht wußte, daß Diota nicht mehr in Gefahr war und sicher unter dem Schutz des Abtes lebte. Jetzt, als er allein lag, konnte Ninian kein rasches Ende der Schwierigkeiten erkennen. Morgen würde Ailnoth bestattet werden, aber nicht der häßliche Schatten seines Todes. Selbst wenn der Tag ohne Bedrohung für Diota verging, würde in den nächsten Tagen nichts aufgelöst werden.
Ninian lag bis lange nach Mitternacht wach und grübelte über die Gefahren, sie sich nicht entwirren ließen. Irgendwo jenseits der Wasserscheide zwischen dem alten und dem neuen Jahr sank er endlich in einen flachen Schlaf und träumte, er müßte sich einen Wog durch unendliche Waldwege erkämpfen, die mit Brombeeren und Dornen überwuchert waren, um Sanan zu finden, die ihm für immer entzogen war und ihm nur einen süßen, vollen Duft nach Kräutern hinterlassen hatte.
Unter dem weiten Gewölbe des Chors, der zur Frühmesse nur spärlich beleuchtet war, hallten die feierlichen Worte der Totenmesse hin und her, wie sie es bei Tage nie zu tun schienen, und die schöne, sonore Stimme von Bruder Benedikt, dem Sakristan, schien verstärkt, bis sie das ganze Kirchenschiff erfüllte, als er zwischen den gesprochenen Psalmen die Lektionen las, und nach jedem Satz kam die ebenso hallende Antwort:
»Requiem aeternam dona eis, Domine…«
»Et lux perpetua lucea eis…«
Und Bruder Benedikt, tief und vortrefflich: »Meine Seele ist des Lebens müde… ich will meiner Klage ihren Lauf lassen und reden in der Betrübnis meiner Seele und zu Gott sagen: Verdamme mich nicht! Laß mich wissen, warum du mich vor Gericht ziehst.«
Nicht viel Trost lag im Buch Hiob, dachte Cadfael, der im Gestühl aufmerksam zuhörte, aber eine großartige Poesie ist das nicht in sich schon ein Trost? Aus jedem Unbehagen, jeder Entehrung und jedem Tod, aus allem, was Hiob klagen ließ, mit großartigem Trotz hervorzugehen?
»Ach, daß du mich im Totenreich verwahren und verbergen wolltest, bis dein Zorn sich legt…
Mein Atem ist faul, meine Tage sind gezählt, mein Grab ist schon bereit… ich habe mein Bett in der Dunkelheit gerichtet und nenne das Grab meinen Vater und die Würmer meine Mutter. Wo ist nun meine Hoffnung?
Laßt ab von mir und laß mich in Frieden, daß ich ein wenig Trost finde, bevor ich dorthin gehe, von wo ich nicht zurückkehren kann, zum Land der Dunkelheit in die Schatten des Todes, zum Land ohne Ordnung, wo selbst das Licht Dunkelheit ist…«
Doch am Ende erhob sich die Fürbitte, die in sich schon ein Trost war, einen Schritt weiter der letzten Gewißheit entgegen:
»Schenke ihnen ewige Ruhe, o Herr …«
»Und laß das ewige Licht auf sie scheinen…«
Als Cadfael nach der Laudes halb im Schlaf die Nachttreppe hinaufstolperte, mußte er immer noch an dieses drängende Flehen denken, das in seinem Kopf nachhallte, und als er wieder einschlief, war es fast ein triumphierender Ruf geworden, der sich nahm, was er verlangte. Ewige Ruhe und ewiges Licht… selbst für Ailnoth.
Nicht nur für Ailnoth, sondern für die meisten von uns, dachte Cadfael, als er sich endlich dem Schlaf ergab, wird es eine lange Reise durchs Fegefeuer, aber zweifellos wird selbst der verschlungenste Weg irgendwann sein Ziel erreichen.
11
Der erste Tag des neuen Jahres 1142 dämmerte grau und feucht, aber mit einem verschleierten hohen Licht, das versprach, die Sonne könnte allmählich durchkommen und gegen Mittag vielleicht eine Stunde oder so regieren, bevor sich am Abend der Nebel wieder senkte. Cadfael, der oft schon lange vor der Prim aufstand, erwachte an diesem Morgen erst, als schon die Glocke erklang und tappte die Nachttreppe hinunter, als die anderen noch von der viel zu kurzen Ruhe benommen waren. Nach der Prim vergewisserte er sich, daß in seiner Hütte alles in Ordnung war und nahm frisches Öl für die Altarlampen mit. Cynric hatte die Kerzen schon geschneuzt und war durch den Kreuzgang auf den Friedhof hinausgegangen, um an dem mit Planken bedeckten, offenen Grab unter der Abteimauer alles für die Beerdigung vorzubereiten. Die Leiche im Holzsarg ruhte vor dem Gemeindealtar auf einer Bahre, die mit Tüchern verhangen war. Nach der Messe würde man den Toten
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