Mörderische Weihnacht
abwesend, denn seine Gedanken waren woanders. Dann aber sah er Diota Hammet zum Tor hereinkommen, die aufmerksam von Sanan am Ellbogen geleitet wurde. Der Anblick dieser beiden hübschen Frauen, die auf diese Weise verbunden waren und, sorgfältig zurechtgemacht, eine etwas spröde Würde ausstrahlten, sehr ruhig und von einer steifen Entschlossenheit, war seinen Augen zugleich eine beunruhigende Erinnerung und ein angenehmer Trost. Herbst und Frühling kamen und richteten sich aneinander auf. Ninian in seiner Verbannung und Einsamkeit wollte sicher alles genau erfahren und würde keine Ruhe finden, bis er es wußte. Noch zwei Stunden, und auf die eine oder andere Weise wäre alles erledigt.
Sie waren durchs Tor in den Hof gekommen und sahen sich nun um; offenbar suchten sie jemand. Sanan bemerkte ihn als erste und flüsterte strahlend Diota etwas ins Ohr. Die Witwe drehte sich nun auch in seine Richtung und kam sofort zu ihm.
Er ging ihnen entgegen, da er anscheinend derjenige war, den sie gesucht hatten.
»Ich bin froh, Euch noch vor dem Gottesdienst zu treffen«, sagte die Witwe. »Die Salbe, die Ihr mir gegeben habt - die Hälfte ist noch da, und wie Ihr seht, brauche ich sie nicht mehr.
Es wäre eine Schande, sie zu verschwenden, und bei diesem Winterwetter werdet Ihr sicher noch eine Menge davon brauchen.« Sie hatte sie sicher in der kleinen Tasche verwahrt, die sie an ihrem Gürtel befestigt hatte, und nun mußte sie unter ihrem Mantel herumsuchen, um sie herauszubekommen. Es war ein kleiner, ungleichmäßig getöpferter Krug mit einem Holzdeckel, der fest in die Öffnung gedrückt war. Sie reichte ihm die Salbe mit einem bleichen, aber beständigen Lächeln.
»Meine Schnitte sind verheilt, und die Salbe kann noch jemand anderem helfen. Nehmt sie zurück, und nehmt auch meinen Dank.«
Der letzte Kratzer, verblaßt und fast schon unsichtbar, nur noch eine haardünne weiße Linie, war schwach neben dem Töpfchen in ihrer Handfläche zu erkennen. Die Wunde auf der Stirn war nur noch ein ovaler, hellblauer Fleck, und die Platzwunde war verschwunden.
»Ihr hättet sie meinetwegen gern behalten können, falls Ihr sie noch einmal braucht«, sagte Cadfael, doch er nahm das Angebot an.
»Ach, falls ich sie noch einmal brauchen sollte, dann bin ich hoffentlich noch hier und kann nach Euch schicken«, erwiderte Diota.
Sie machte eine kleine, würdevolle Verbeugung und wandte sich zur Kirche. Über ihre Schulter hinweg sah Cadfael Sanans vertraulichen, blauen Blick, weich wie Glockenblumen und strahlend wie der Himmel, fast wie ein geheimes Zeichen zwischen zwei Verschwörern. Dann drehte auch sie sich um, nahm die ältere Frau am Arm und ging mit ihr über den großen Hof zum Tor und durch die Westtür in die Kirche.
Ninian erwachte erst, als es schon hell war, mit schwerem Kopf und mühsam, nachdem er die halbe Nacht wachgelegen und dann in einen sehr tiefen Schlaf gefallen war. Er stand auf und schwang sich, ohne die Leiter zu benutzen, vom Dachboden hinunter. Er trat in die frische, kalte und feuchte Morgenluft hinaus, um die Spinnweben aus seinem Kopf zu schütteln. Die Ställe drunten waren leer. Sanans Vertrauter Sweyn war schon aus seiner Hütte am Stadtrand gekommen und hatte die beiden Pferde auf die eingezäunte Weide geführt.
Sie brauchten etwas Bewegung, nachdem sie während des starken Frostes ständig im Stall gestanden hatten, und sie machten von ihrer Freiheit reichlich Gebrauch und freuten sich anscheinend über die Luft und das Licht. Jung und lebhaft und unterbeschäftigt wie sie waren, würden sie sich nicht so leicht einfangen und aufzäumen lassen, aber es war
unwahrscheinlich, daß sie heute schon gebraucht wurden.
Der Viehstall war noch besetzt. Die Tiere würden erst zum Grasen am Fluß hinausgelassen werden, wenn Sweyn wieder in der Nähe war und sie im Auge behalten konnte. Die Scheune und der Stall standen zwischen hügeligem Waldland auf einer weiten Lichtung, die sich nur zum Fluß hin öffnete, und waren damit angenehm abgeschieden. Zwischen den Bäumen im Westen strömte ein kleiner Bach zum Severn hinunter. Ninian ging schläfrig dorthin, streifte Mantel und Hemd ab, schauderte ein wenig, und tauchte Kopf und Arme ins Wasser. Er zuckte in der Kälte zusammen und atmete scharf ein, doch er freute sich darüber, daß sein Kopf langsam warm und wach wurde. Er schüttelte sich die Tropfen aus dem Gesicht und fuhr mit den Händen durch seine dichten Locken. Dann rannte er
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