Mörderische Weihnacht
gefüllt war. Der morgige Abend war nach dem Kirchenkalender der achte Tag nach der Geburt Christi, an welchem die Beschneidung des Herrn gefeiert werden sollte, doch für die Leute der Vorstadt war es viel eher ein Dankgottesdienst, da ihr Quälgeist endgültig von ihnen genommen war. Ein elender Abgang für jeden Mann, ganz zu schweigen von einem Priester.
»Morgen früh«, erklärte Prior Robert, bevor er die Brüder für die gesegnete halbe Ruhestunde vor der Komplet in den Wärmeraum entließ, »soll der Begräbnisgottesdienst für Vater Ailnoth unmittelbar nach der Gemeindemesse gehalten werden, und ich selbst werde den Segen sprechen. Die Predigt aber wünscht der Vater Abt selbst zu halten.« Die durchdringende, gut modulierte Stimme des Priors gab dieser Erklärung eine etwas zweideutige Note, als wüßte er noch nicht genau, ob er die Entscheidung des Abtes als ergebene Widmung an den Toten verstehen sollte, oder als Einmischung, die ihm eine Gelegenheit raubte, seine eigene unstrittige Beredsamkeit unter Beweis zu stellen. »Die Frühmesse und die Laudes sollen entsprechend der Feier für den Toten gestaltet werden.«
Das bedeutete, daß sie lang werden würden, und daß kluge Brüder gut daran taten, nach der Komplet sofort zu Bett zu gehen. Cadfael hatte seine Kohlenpfanne bereits so eingerichtet, daß sie leise die Nacht über brennen konnte und dafür sorgte, daß seine Lotionen und Arzneien nicht einfroren und keine Flaschen platzten, falls gegen Morgen ein scharfer Frost einsetzte. Doch die Luft war sicher nicht kalt genug für strengen Frost, und der leichte Wind und der etwas bewölkte Himmel ließen ihn eher vermuten, daß seine Schätze die Nacht wohlbehalten überstehen würden. Er ging dankbar mit den Brüdern in den Wärmeraum und ließ sich für die müßige halbe Stunde nieder.
Es war jene Tageszeit, in welcher selbst die Schweigsamen sich entspannten und zu reden begannen und nicht einmal der Prior ob ihrer Geschwätzigkeit die Stirn runzelte. Und unweigerlich drehten sich die Gespräche an diesem Abend um die kurze Regentschaft Vater Ailnoths, um seinen schlimmen Tod und um die bevorstehende Begräbnisfeier.
»Dann will der Vater Abt also selbst die Totenpredigt halten?« sagte Bruder Anselm in Cadfaels Ohr. »Die wird sicher interessant zu hören sein.« Vater Anselm war für die Musik bei den Gottesdiensten zuständig, und er achtete das gesprochene Wort nicht ganz so hoch; doch er schätzte natürlich dessen Macht und Einfluß. »Ich hätte gedacht, daß er sie allzugern Robert überlassen hätte. Nil nisi bonum… Oder glaubt Ihr, er hält es für eine angemessene Buße, nachdem er den Mann herbrachte?«
»Daran könnte etwas sein«, gab Cadfael zu. »Aber ich glaube eher, er will dafür sorgen, daß die Wahrheit gesagt wird.
Robert würde sich wahrscheinlich zu Lobgesängen hinreißen lassen. Radulfus will Klarheit und Aufrichtigkeit.«
»Keine einfache Rede«, erwiderte Anselm. »Nun, von mir erwartet niemand große Worte. Bisher gibt es keinen Hinweis, wer ihm in der Gemeinde nachfolgen soll. Man wird für einen Mann beten, den man kennt, ob er nun das Lateinische beherrscht oder nicht. Selbst ein Mann, den sie nicht besonders mögen, wäre willkommen, wenn er aus dieser Gegend stammt und sie kennt. Mit Teufeln, die man kennt, kommt man schon zurecht.«
»Es schadet nicht, Gutes für sie zu erhoffen«, sagte Cadfael seufzend.
»Ein ganz gewöhnlicher Mann, der etwas tiefer als nur knapp unter den Engeln steht und sich seiner eigenen Fehler wohl bewußt ist, würde sich in der Vorstadt gut machen.
Eine Schande, daß seinetwegen ein paar Wochen vertan wurden.«
Im großen Steinkamin brannten ruhig einige dicke Stämme.
Sie sanken langsam in einem Haufen heißer Asche zusammen; die Ladung war genau geschätzt, um den Abend über zu halten und mit nur wenig Abfall zu ersterben, wenn die Glocke zur Komplet rief. Gesichter, die nach der Arbeit im Freien vor Kälte zusammengekniffen waren, bekamen Farbe und erröteten, und rissige Hände wurden unter der Salbe, die aus Cadfaels Lager stammte, wieder glatt. Freunde sammelten sich in ihren Grüppchen, vorsichtig gedämpfte Stimmen mischten sich zu einem zufriedenen Summen wie in einem Bienenstock. Einige gesunde junge Männer, die den größten Teil des Tages draußen verbracht hatten, mußten sich sehr anstrengen, um in der Wärme die Augen offenzuhalten. Die Komplet würde an diesem Abend klugerweise sehr kurz ausfallen,
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