Mörderische Weihnacht
auf der offenen Weide ein paarmal im Kreis herum, sammelte seine abgelegten Kleider wieder ein und rannte mit ihnen zum schützenden Stall zurück, wo er sich mit einem sauberen Sack abrieb, bis seine Haut glühte und er sich bereit fühlte, den Tag zu beginnen. Es konnte ein langer, einsamer Tag voller Ängste werden, aber in diesem Augenblick fühlte er sich allem gewachsen und hoffnungsvoll.
Er hatte sein Haar so ordentlich gekämmt, wie er es mit bloßen Fingern vermochte, und saß auf einem Strohballen, um ein Stück Brot und einen Apfel aus den Vorräten zu essen, die Sanan ihm gebracht hatte, als er den Hirten auf dem unebenen Pfad zur Türe kommen hörte. Oder war es doch ein anderer Mann? War es womöglich gar nicht Sweyn? Ninian lauschte gespannt, ein Stück vom Apfel dick in der Backe, die Kiefer reglos gespannt. Der Mann pfiff nicht, wie Sweyn es immer tat, und diese Füße schritten in ungewöhnlicher Hast. Er konnte es wegen des rauhen Grases und der kleinen Steine deutlich hören. Ninian hatte es nun noch eiliger. Er schwang sich zum Dachboden hinauf und hing schweigend über der Luke, auf alles gefaßt, was da kommen mochte.
»Junger Herr…« rief eine Stimme in der offenen Tür ohne ein Anzeichen von Vorsicht. Es war Sweyn, aber ein Sweyn, der sich beeilt hatte und ein wenig außer Atem war und an diesem Morgen keine Zeit zum Pfeifen gehabt hatte. »Junger Herr, wo seid Ihr? Kommt herunter!«
Ninian schnaufte erleichtert und glitt durch die Luke wieder hinab, ließ sich an den Armen hängen und neben den Hirten fallen. »Guter Gott, Sweyn, ich hätte beinahe mein Messer gezogen! Ich hätte nicht gedacht, daß Ihr es seid. Ich glaubte Euch inzwischen gut genug zu kennen, aber Ihr seid gekommen wie ein Fremder. Was ist los?« Er legte seinem Freund und Verbündeten überschwenglich einen Arm um die Schultern, um ihm seine Erleichterung zu zeigen. Doch dann schob er ihn von sich und sah ihn von oben bis unten an.
»Gütiger Herr, und noch dazu in Sonntagskleidern. Wem gilt diese Ehre?«
Sweyn war ein vierschrötiger, ergrauter Mann von mittleren Jahren mit einem zottigen braunen Bart und blinzelnden, klugen Augen. Soweit er im Winter überhaupt warme Kleidung anzog, trug er sie direkt auf der Haut, denn von außen war nur eine kräftige Hose zu sehen, und Ninian hatte außer einem oft geflickten, dunkelbraunen Ding noch nie einen Mantel bei ihm gesehen. Aber zweifellos besaß er noch einen, denn an diesem Morgen trug er einen grünen, ungeflickten Mantel und einen dunkelbraunen Umhang, um Kopf und Schultern zu bedecken.
»Ich war in Shrewsbury«, erwiderte er knapp, »und habe ein paar Schuhe abgeholt, die meine Frau beim Vorsteher Corviser zum Besohlen abgegeben hatte. Ich war schon beim ersten Licht hier und ließ die Pferde hinaus, denn sie waren lange genug eingesperrt. Dann habe ich mich für die Stadt feingemacht, und ich hatte noch keine Zeit, meine Arbeitssachen anzuziehen. In der Stadt geht das Gerücht, junger Herr, daß der Sheriff am Begräbnis des Priesters aus der Vorstadt teilnehmen und auf dem Rückweg einen Mörder mitnehmen will. Ich dachte, ich berichte es Euch, so schnell ich konnte. Denn es könnte die Wahrheit sein.«
Ninian starrte ihn einen Augenblick wie vor den Kopf geschlagen an. »Nein! Er will doch nicht sie verhaften? Sagt man das? Oh, Gott, nicht Diota! Und sie wird ihm nichtsahnend in die Arme laufen. Und ich bin nicht dabei!« Er packte aufgeregt Sweyns Arm. »Ist es gewiß?«
»So sagen es die Leute in der Stadt. Sie sind ganz aufgeregt und strömen in hellen Scharen über die Brücke hinaus, um zuzusehen. Man weiß nicht, wen es treffen wird - die Vermutungen gehen in zwei oder drei Richtungen, aber alle sind sicher, daß es geschehen wird, wer immer der arme Hund auch ist.«
Ninian warf den Apfel fort, den er die ganze Zeit in der Hand gehalten hatte, und ballte, während er gehetzt nachdachte, die Fäuste. »Ich muß gehen! Die Gemeindemesse beginnt erst um zehn, es ist noch Zeit…«
»Ihr könnt nicht gehen. Die junge Herrin hat gesagt - «
»Ich weiß, was sie gesagt hat, aber das hier ist meine Angelegenheit. Ich muß Diota da herausholen. Wen sonst könnte der Sheriff anklagen wollen? Aber er soll sie nicht bekommen! Das werde ich nicht zulassen!«
»Man wird Euch erkennen! Vielleicht hat er es gar nicht auf die Frau abgesehen, und was dann? Vielleicht weiß er ganz genau, was er tut. Und dann hättet Ihr Eure Freiheit für nichts und wieder nichts
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