Mörderische Weihnacht
fortgeworfen«, wandte der Hirte vernünftig ein.
»Nein, man muß mich ja nicht erkennen. Einer in einer großen Menge - und nur die Leute aus der Abtei und ein paar aus der Vorstadt kennen mich dem Ansehen nach gut genug.
Auf jeden Fall«, fuhr Ninian grimmig fort, »soll ja keiner Hand an sie legen. Dann wird man mich kennenlernen, und zwar mit einigem Nachdruck. Aber ich kann mich ohne weiteres in der Menge verstecken. Leiht mir Euren Mantel und Euren Umhang, Sweyn. Wer könnte mich unter der Kapuze erkennen? Und man hat mich nur in meinen alten Sachen gesehen; die Euren sind viel zu fein für den Benet, an den sie sich erinnern…«
»Dann nehmt ein Pferd«, sagte Sweyn, indem er ohne weiteren Protest seinen Umhang abstreifte und sich das locker sitzende Tuch über den Kopf zog.
Ninian blickte zur Wiese hinaus, wo die beiden Pferde Bocksprünge machten und sich an ihrer Freiheit erfreuten.
»Nein, keine Zeit! Ich bin zu Fuß fast genauso schnell da. Und mit einem Pferd würde ich mehr Aufsehen erregen. Wie viele Reiter mögen zu Ailnoths Beerdigung kommen?« Er warf sich das vorgewärmte, viel zu weite Kleidungsstück über, und sein Kopf tauchte gerötet und zerzaust wieder auf. »Ich wage es nicht, ein Schwert vorzuzeigen. Aber den Dolch kann ich am Körper verstecken.« Er kletterte zum Dachboden hinauf, um ihn zu holen, und befestigte ihn sicher und außer Sicht unter dem Mantel, wo er fest in seinem Hosengürtel steckte.
An der Tür, er wollte schon losrennen, fiel ihm noch etwas Wichtiges ein. Er drehte sich noch einmal um und faßte den Hirten fest am Arm. »Sweyn, falls ich verhaftet werde - Sanan wird dafür sorgen, daß Euch kein Schaden entsteht. Eure guten Kleider - ich habe nicht das Recht…«
»Ach, nun geht doch schon!« sagte Sweyn halb beleidigt und schob ihn mit einem herzhaften Stoß zum Feld in Richtung der Bäume hinaus. »Ich kann in Säcken gehen, wenn es sein muß.
Bringt nur Euch selbst wohlbehalten zurück, denn sonst wird die junge Herrin meinen Kopf fordern. Und zieht die Kapuze hoch, dummer Junge, bevor Ihr Euch der Straße nähert!«
Ninian rannte los, über die Wiese und in den abschüssigen Wald hinein, und suchte den Weg, der ihn nach etwa einer Meile zum Meole-Bach bringen würde. Er wollte ihn in der Nähe der Brücke, die zur Stadt führte, überqueren, um in die Vorstadt zu gelangen.
Die Gerüchte, die in Shrewsbury die Runde machten, erreichten Ralph Giffard erst eine Weile später, denn niemand aus seinem Haushalt war vor neun Uhr in der Stadt. Erst dann ging eine Dienerin hinaus, um einen Krug Milch zu holen. Sie brauchte recht lange für den Botengang, weil sie unterwegs reichlich Klatsch aufzuschnappen hatte. Und als sie dann glücklich wieder im Haus war, dauerte es wieder eine Weile, bis die Neuigkeiten aus der Küche zum Schreiber vordrangen, der nachsehen kam, worum es bei dem Geschnatter ging. Erst danach hörte Giffard selbst davon, der in diesem Augenblick gerade überlegte, ob es nicht Zeit sei, das Stadthaus dem Verwalter zu überlassen und sich zu seinem Hauptanwesen im Nordosten zu begeben. Es wäre angenehm, den Aufenthalt hier noch etwas auszudehnen, da es so bequem war, und er freute sich über den Wunsch seines jungen Sohnes, eine Weile das Gut allein zu verwalten, um seine Fähigkeiten ohne Überwachung zu erproben. Der Junge war sechzehn, zwei Jahre jünger als seine Stiefschwester, und ziemlich eifersüchtig auf die Reife und Verantwortung, die sie bei der Führung der fraulichen Seite des Haushaltes an den Tag legte. Er war schon verlobt, eine gute Partie mit der Tochter eines Nachbarn, und er brannte natürlich darauf, seine Flügel zu erproben. Er würde sich zweifellos gut machen und stolz auf seine Erfolge sein, aber dennoch war es nur klug, wenn der Vater ihn ein wenig im Auge behielt. Zwischen dem Jungen und dem Mädchen gab es kein böses Blut, aber der junge Ralph würde trotzdem froh sein, wenn Sanan endlich heiratete und das Haus verließ. Wenn ihre Heirat nur nicht soviel kosten würde!
»Herr«, sagte der alte Schreiber, der Giffards Grübeleien am Spätvormittag unterbrach, »ich glaube, Ihr seid Euren Quälgeist heute los, oder auf jeden Fall sehr bald. Das Gerücht macht in der ganzen Stadt die Runde. Man hört auf jeder Türschwelle und an jeder Ladentheke, daß Beringar den Mörder entlarvt und überführt hat und bei der Beerdigung des Priesters festnehmen will. Und wer anders könnte es sein als der Junge von
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