Mörderische Weihnacht
Reinheit und des ewigen Lebens der heiligen unschuldigen Märtyrer teilhaftig werden, auf daß der Tod keine Gewalt mehr über sie habe. Und wenn sie hier auch ohne Namen sterben, so steht ihr Name doch im Buch geschrieben, und niemand sonst braucht ihn zu wissen, bis der Tag der Tage kommt.
Aber uns, die wir die Bürde der Sünde tragen, uns geziemt es nicht, an dem herumzudeuteln, was der Herr uns schickt; noch sollten wir versuchen, unsere eigenen Verdienste und unsere Tugendhaftigkeit selbst zu bemessen, denn wir haben nicht die Waage, mit welcher die Werte der Seele gemessen werden können. Das ist allein Gottes Angelegenheit. Vielmehr ziemt es sich für uns, jeden Tag so zu leben, als wäre es unser letzter, unsere ganze Wahrhaftigkeit und Freundlichkeit aufzubieten und uns jeden Abend niederzulegen, als wäre der kommende Tag zugleich wieder unser erster und ein reiner, neuer Anfang.
Der Tag wird kommen, an dem alles abgewogen wird. Dann werden wir wissen, wo wir jetzt vertrauen müssen. Und in diesem Vertrauen überlassen wir unseren Hirten hier der Obhut des Oberhirten aller Geschöpfe in der sicheren Hoffnung auf Erlösung.«
Er sprach zum Abschluß mit gesenktem Kopf den Segen über alle Zuhörer. Vielleicht fragte er sich, wie viele wirklich verstanden hatten und wie viele dieses Verstehen brauchten.
Es war vorbei, und die Leute im Kirchenschiff begannen sich verstohlen zu regen und zur Nordtür zu drängen, um die ersten zu sein und sich einen guten Platz für die Prozession zu sichern. Die drei Priester, die den Gottesdienst gehalten hatten, Abt, Prior und Subprior, stiegen zur Bahre hinab, und die Brüder stellten sich schweigend in Zweierreihen hinter ihnen auf. Die Sargträger nahmen ihre Last und schritten zur offenen Nordtür in die Vorstadt hinaus. Wie kommt es, dachte Cadfael, der ihnen zusah und sich über die Ablenkung freute, so sündig sie in diesem Augenblick auch war, wie kommt es, daß immer einer außer Tritt oder für die anderen zu groß ist oder zu weit ausschreitet? Ist es, damit wir nicht dem Fehler verfallen, selbst etwas so Wichtiges wie den Tod allzu ernst zu nehmen?
Es war keine große Überraschung, die Hauptstraße übervölkert zu finden, als die Prozession aus dem Nordtor kam und nach rechts abschwenkte, um der Abteimauer zu folgen; doch auf den ersten Blick überraschte es, daß die Hälfte der Zuschauer Leute aus der Stadt waren. Dann begriff Cadfael.
Hugh hatte diskrete Gerüchte ausgestreut und dafür gesorgt, daß seine Pläne bekannt wurden; zu spät, um noch hierher zu den Leuten vorzudringen, die es am meisten anging, und sie etwa vorzuwarnen, aber früh genug, um die Würdenträger aus Shrewsbury - und noch sicherer womöglich die Unwürdigen -
anzulocken, die genug Zeit hatten, eilig aus Neugier zu kommen und dem Ende beizuwohnen.
Cadfael fragte sich immer noch, wie das Ende aussehen mochte. Hughs Plan sollte das Gewissen eines Mannes anrühren und ihn zum Reden veranlassen, um den fälschlich angeklagten Vorort zu befreien, aber zugleich konnte es auch eine gewaltige Erleichterung für den wirklich Schuldigen sein, wenn der es als Geschenk nahm - sicher nicht vom Himmel, sondern eher von jenem anderen Ort! Bei jedem Schritt durch die Vorstadt grübelte er über die verworrenen Einzelheiten, die ihm durch den Kopf gingen. Er fand keinen Zusammenhang zwischen ihnen. Den fand er erst, als er in einer schlammigen Spalte ausglitt, so daß der kleine Krug mit der Salbe, den er unter der Brust der Kutte verwahrt hatte, gegen seinen Bauch schlug. Die Berührung war zugleich ein ungeduldiger Stoß für seine Gedanken. Er sah den Topf wieder vor sich, wie er auf der offenen, schönen, aber abgearbeiteten Hand stand, als Diota ihn anbot. Eine Hand, geädert von den Falten, die jede andere menschliche Handfläche auch hatte, tief eingegraben vom lebenslangen Zupacken, aber zusätzlich durchzogen von fadendünnen weißen Linien, die sie überkreuzten und sich vom Handgelenk bis zu den Fingern erstreckten, kaum noch sichtbar und gewiß bald verheilt.
Eine eiskalte Nacht, er war selbst sehr vorsichtig aufgetreten.
Und eine Frau, die ausglitt, als sie auf die überfrorene Schwelle eines Hauses trat. Ein Sturz nach vorn, und natürlich hatte sie die Hände ausgestreckt, um den Sturz abzufangen, auch wenn sie ihren Kopf nicht ganz schützen konnte. Nur, daß Diota nicht gefallen war. Ihre Kopfverletzung war auf ganz andere Weise entstanden. Sie war an diesem Abend auf
Weitere Kostenlose Bücher