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Mörderische Weihnacht

Mörderische Weihnacht

Titel: Mörderische Weihnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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die Knie gefallen, ja, aber aus Verzweiflung, und ihre Hände hatten nicht den gefrorenen Boden zu fassen bekommen, sondern den Saum von Ailnoths Umhang. Woher aber stammten dann die Risse und Schnitte in den Handflächen?
    In aller Unschuld hatte sie ihm die Hälfte der Geschichte erzählt und selbst geglaubt, ihr Bericht sei vollständig. Und nun war er machtlos, er mußte seinen Platz in der Beerdigungsprozession ausfüllen, wie sie den ihren ausfüllte, und konnte nicht zu ihr gelangen, um die Winkel der Erinnerung auszuforschen, die ihr beim ersten Gespräch entgangen waren.
    Erst wenn die feierliche Zeremonie vorbei und abgeschlossen war, konnte er wieder mit Diota sprechen. Aber halt: Es gab noch andere Zeugen; von Natur aus stumm, aber vielleicht trotzdem bereit, sich zu äußern. Er ging energisch weiter und hielt mit Bruder Henry auf dem Weg durch die Vorstadt und am Pferdemarkt entlang Schritt. Er konnte die Zeremonie nicht stören. Noch nicht! Aber vielleicht drinnen? Denn danach würde es keine Prozession geben, nicht für die Brüder. Sie waren schließlich schon in ihrer selbstgewählten Enklave und durften sich verstreuen, um ihre Waschungen vorzunehmen und im Refektorium zu speisen. Sobald sie drinnen waren, würde man ihn nicht vermissen, wenn er sich davonstahl.
    Die breite Doppeltür der Abteimauer stand weit offen und ließ den Zug der Trauernden in den weiten Friedhofsgarten ein, hinter welchem der Küchengarten und noch weiter zurück das langgestreckte Dach der äbtlichen Gemächer mit dem kleinen Blumengarten davor zu sehen waren. Die Brüder wurden dicht am Ostende der Kirche bestattet, die Vikare der Gemeinde ein Stück von ihnen entfernt, aber im gleichen Bereich. Es gab hier noch nicht viele Gräber, denn das Kloster war erst achtundfünfzig Jahre alt. Die Gemeinde war zwar älter, aber bisher hatte man die kleine Holzkirche benutzt, die Graf Robert durch eine steinerne ersetzt und der neu gegründeten Abtei geschenkt hatte. Es gab hier Bäume und Gras und im Sommer eine Blumenwiese. Ein schöner Ort. Nur das dunkle, tiefe Loch dicht an der Mauer verschandelte den Garten. Cynric hatte Böcke aufgestellt, damit der Sarg abgesetzt werden konnte, bevor man ihn ins Grab senkte. Er stand über die Planken gebeugt, die er gerade entfernt hatte, und stapelte sie sauber an der Wand.
    Die halbe Vorstadt und eine ganze Reihe Städter drängten hinter den Brüdern durch die offenen Tore und kamen dicht heran, um ja nichts zu verpassen. Cadfael zog sich durch die Reihen der Brüder zurück und verschwand unauffällig in der Menge. Zweifellos würde Bruder Henry ihn irgendwann vermissen, aber unter diesen Umständen würde er kein Wort sagen. Als Prior Robert mit sonorer Stimme die ersten Zeilen der Andacht vortrug, bog Cadfael gerade um die Ecke des Kapitelhauses und eilte über den großen Hof zur Pforte neben dem Krankenquartier, durch welche er die Mühle erreichen konnte.
     
    Hugh hatte zwei Soldaten und zwei junge Männer von der Garnison der Burg mitgebracht. Sie waren alle beritten und hatten ihre Pferde am Torhaus der Abtei angebunden. Sie ließen die Begräbnisprozession durch die Vorstadt bis zum Friedhof vorrücken, bevor sie sich zeigten. Während aller Augen auf den Prior und den Sarg gerichtet waren, postierte Hugh zwei Männer vor den offenen Toren, um deutlich zu zeigen, daß er jeden Fluchtversuch zu verhindern wußte. Zwei weitere Männer nahm er mit sich hinein. Sie drängten sich unauffällig durch die Menge, aber gerade die Tatsache, daß sie diskret waren und respektvoll das Schweigen wahrten, machte sie nicht unauffällig, sondern zog die Blicke aller Menschen auf sich, so daß, als sie dort waren, wo Hugh sie im richtigen Augenblick haben wollte, nämlich er selbst dem Prior gegenüber am Sarg und die beiden Männer einen Schritt hinter Jordan Achard, zahllose verstohlene Blicke zu ihnen wanderten und viele Füße unruhig und verstohlen scharrten. Aber Hugh hielt sich zurück, bis alles vorbei war.
    Cynric und seine Helfer hoben den Sarg und machten die Schlingen bereit, mit denen er ins Grab gelassen werden sollte.
    Erde fiel mit dumpfem Geräusch auf das Holz. Das letzte Gebet wurde gesprochen. Es herrschte die unvermeidliche Stille und Ehrfurcht, bevor sich die Leute wieder seufzend zu regen begannen und sich langsam entfernten. Das Seufzen kam wie eine plötzliche Windbö aus vielen Kehlen gleichzeitig. Und Hugh sagte laut und deutlich mit einer Stimme, die geeignet war,

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