Mörderische Weihnacht
stellen wollt.«
Im Kapitel erhob sich ein interessiertes, zustimmendes und neugieriges Gemurmel, während Prior Robert, der die Köpfe erwartungsvoll nicken sah, dem Wunsch des Abtes Folge leistete und hinausging, um den Kandidaten hereinzurufen.
Ailnoth, dachte Cadfael, ein sächsischer Name, der angeblich zu einem gutaussehenden, großen Burschen gehörte. Nun, das war sicherlich besser als ein normannischer Stiefellecker vom Hof. Vor seinem inneren Auge entstand das Bild eines großgewachsenen jungen Mannes mit frischer, rötlicher Haut und hellem Haar, doch dieses Bild löste sich im Nu auf, als Vater Ailnoth hinter Prior Robert hereinkam und sich bescheiden und höflich mitten in den Kapitelsaal stellte, wo alle Brüder ihn sehen konnten.
Er war tatsächlich ein gutaussehender, großer Bursche mit breiten Schultern und muskulösen Gliedern, der sich fließend und rasch bewegte und aufrecht und sehr ruhig stand, wenn er seinen Platz gefunden hatte. Sein Gesicht war von einer eigenartigen Schönheit, doch seine Haut war keineswegs so hell, wie man es bei einem Sachsen hätte erwarten können; an Haaren und Augen war er sogar dunkler als Hugh Beringar. Er hatte ein längliches Patriziergesicht, dessen olivbraune, gut rasierte Wangen nicht durch warmes Blut gerötet waren. Die schwarzen Haare, die seine Tonsur umkränzten, waren stark wie Drähte und dicht und so exakt geschnitten, daß man den Eindruck bekam, sie wären mit schwarzer Farbe aufgemalt. Er grüßte den Abt mit einer ernsten Ehrenbezeugung, faltete die großen und kräftigen Hände vor der schwarzen Kutte und erwartete die Befragung.
»Hiermit stelle ich dieser Versammlung Vater Ailnoth vor«, erklärte Radulfus, »den ich für das Priesteramt der Gemeinde vom Heiligen Kreuz vorschlage. Befragt ihn nach seinen eigenen Wünschen in dieser Angelegenheit, nach seinen Leistungen in früheren Ämtern, und er wird Euch freimütig antworten.«
Und tatsächlich gab er freimütig seine Antworten, angeregt durch ein freundliches Wort der Begrüßung von Prior Robert, der seine Erscheinung offenbar sehr angenehm fand. Er beantwortete die Fragen knapp und fließend, wie ein Mann, der nicht an mangelndem Selbstvertrauen leidet und keine Zeit zu verschwenden hat. Und seine Stimme, die ein wenig heller war, als Cadfael bei einem so großen Mann mit einem so breiten Brustkasten erwartet hätte, klang voll und selbstsicher. Er gab unumwunden Auskunft über sich selbst, erklärte seine Absicht, seine Pflichten mit aller Kraft und Rechtschaffenheit zu erfüllen und erwartete mit ungebrochenem Selbstvertrauen den Urteilsspruch. Sein Latein war ausgezeichnet, und er sprach sogar etwas Griechisch und war außerdem in der Buchhaltung ausgebildet, was für die Verwaltung seiner Gemeinde gewiß kein Nachteil war. Seine Au fnahme war so gut wie sicher.
»Dürfte ich noch eine Bitte äußern, Vater Abt?« sagte er schließlich. »Ich wäre Euch sehr dankbar, wenn Ihr dem jungen Mann, der mich hierher begleitete, eine Beschäftigung als Laiendiener geben könntet. Er ist der Neffe und einzige Verwandte meiner Haushälterin, der Witwe Hammet, die mich bat, ihn mitzunehmen und ihm hier im Ort eine Arbeit zu verschaffen. Er besitzt kein Land und kein Vermögen. Mein Herr Abt, Ihr habt gesehen, daß er gesund und kräftig ist und sich nicht vor schwerer Arbeit scheut; er hat uns auf der Reise bereitwillig gute Dienste geleistet. Ich glaube, er neigt dem Klosterleben zu, wenn er auch bisher noch nicht endgültig darüber entschieden hat. Wenn Ihr ihm eine Weile Arbeit geben könnt, dann mag er die Entscheidung eines Tages treffen.«
»Ah, ja, der junge Benet«, sagte der Abt. »Ihr habt recht, er ist ein kräftiger, gesunder Junge. Er soll auf Probe zu uns kommen, wir werden schon eine Arbeit für ihn finden. Auf dem Bauernhof oder in den Gärten gibt es eine Menge zu tun…«
»Das kann man wohl sagen, Vater«, schaltete Cadfael sich energisch ein. »Ich könnte ein Paar junge Hände gut gebrauchen, denn zum Winter muß noch eine Menge umgegraben werden, und ein Teil des Küchengartens wurde gerade erst von den Resten der Pflanzen befreit. Die Obstbäume müssen beschnitten werden - das ist Schwerarbeit.
Der Winter kommt, die Tage werden kürzer, und nachdem Bruder Oswin nun im Hospiz von St. Giles arbeitet, brauche ich einen neuen Helfer. Ich hätte ohnehin bald darum gebeten, daß mich wie früher ein anderer Bruder bei der Arbeit unterstützt, wenn ich auch im Sommer
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