Moerderjagd
fast die Zeit. Seit meinem Gespräch mit der Kommissarin waren vierzig Minuten vergangen.
»Nichts Neues von Gemmel?«, wollte ich wissen und blickte in ihr Büro.
»Wir werden keine Neuigkeiten erhalten«, antwortete Jil, hob resigniert ihren Kopf und sah mich an.
»Ich habe vorhin noch mal mit Wilma Sauer telefoniert«, fügte sie an. Ihre Augen waren rot. Ob sie geweint hatte?
»Die beiden Geschäftsführer von Luvamat waren bei Frau Sauer und haben sich eine Mappe aus Weinands Büro aushändigen lassen. Es ging um den geplanten Windpark.«
»Nicht ungewöhnlich«, entgegnete ich Frau Augustin. Dann fiel mein Blick auf das Fenster, wo die einzige Pflanze der Kommissarin vor sich hinvegetierte. Die Kommissarin war im Umgang mit Pflanzen genauso nachlässig wie der Kollege Schuster. Mit hausfraulichen Dingen hatte sie nicht viel zu tun. »Der Journalist bekommt von ihr bestimmt nichts gekocht«, überlegte ich mir. »Da hätten wir wieder einen Grund, weshalb er in schöner Regelmäßigkeit das Weite suchte.« Warum sie nie über ihre Gefühle reden konnte, fragte ich mich.
»Sie denken an das Gespräch mit den Geschäftsführern von Lavamat?«, unterbrach Jil meine Gedanken. »Und vergessen Sie nicht, Frau Weinand will ich hier sehen.«
Jil Augustin
Ich wollte die verbleibende Zeit nutzen, um mir etwas aus der Kantine zu holen.
»Guten Morgen, Frau Augustin. In einer halben Stunde kommen die Geschäftsführer von Luvamat.« Metzger, mein junger Kollege, stand vor mir. Er grinste mich frech an.
»Danke.«
»Alles in Ordnung mit Ihnen?«, forschte Metzger, während er mir folgte.
»Alles bestens, danke«, murmelte ich und ging weiter.
»Warum sind Sie immer so verschlossen?«, wollte er wissen. Er hielt meinen Arm. Ich blieb stehen, drehte mich langsam um und blickte Metzger in die Augen. »Das verstehen Sie nicht!«
»Warum? Weil ich ein Mann bin?« Lässig stand er nun vor mir, die Hände in seiner Jeans steckend. Ich holte tief Luft.
Metzger sah umwerfend gut aus an diesem Morgen.
»Lassen Sie uns nach Feierabend etwas trinken gehen.«
Ich zögerte, taxierte seine Augen. »Ich weiß nicht einmal, wann ich heute Abend hier rauskomme.«
»Und vergessen Sie nicht, Frau Weinand will ich hier sehen.«
»Dann werde ich auf Sie warten.«
»Außerdem habe ich meiner Mutter versprochen, den Hund heute auszuführen.«
»Gut, dann komme ich mit. Etwas Bewegung kann mir nicht schaden, und das Wetter ist genau richtig für einen Waldspaziergang.«
»Meine Mutter, sie ist …«
»Sie müssen keine Angst haben! Ich werde sehr zuvorkommend mit ihr umgehen.«
»Ja, genau darauf wartet sie. Heute auf keinen Fall, vielleicht morgen.«
Keine halbe Stunde später betrat Hansen mit Doktor Ernst und seinem Kollegen Arno Taun mein Büro.
»Setzen Sie sich bitte hier auf die beiden Stühle!«, begrüßte ich die Herren freundlich. Doktor Ernst sah mitgenommen aus.
Seine grauen Augen wirkten fahl, die Gesichtshaut ebenfalls. Aus den Unterlagen wusste ich, dass er sechsundfünfzig Jahre alt ist. Er erinnerte mich an meinen Exmann. Sicherlich ist er auch einen Meter neunzig groß, vom Gewicht her könnte es ebenfalls hinkommen. Ich betrachtete den Mann. So knapp hundert Kilo, perfekt sitzender Anzug.
»Haben Sie schon erste Anhaltspunkte?« Ernst löste seine Krawatte.
»Paul Weinand wurde erschossen, mit einem Jagdgewehr.«
»Gut!«, brachte sich Arno Taun in das Gespräch ein. »Dann werden Sie auch schon wissen, wem das Gewehr gehört?«
Arno Taun war jünger. Aus den Unterlagen, die Hansen mir nun rüberschob, sah ich, dass er sechsundvierzig Jahre alt war, ungefähr so alt wie Weinand. Seine Figur war hager – schulterlange Haare, übertrieben mit Gel aus der Stirn gekämmt. Auch er trug einen perfekt sitzenden Anzug.
»Leider nein.« Ich sah ihm in die Augen. Er schien nicht sonderlich vom Tod Weinands betroffen zu sein.
»Was soll das heißen? Jedes Kind weiß doch …«
Hansen unterbrach ihn an dieser Stelle und berichtete von dem Durchschuss. Er saß auf der Kante meines Schreibtisches, eine Angewohnheit von ihm, die mir nicht angenehm ist.
Doktor Ernst schnaubte. »Das gefällt mir nicht. Morgen Abend soll eine weitere Versammlung mit Anliegern der Nachbargrundstücke sein. Weinand wohnte auch dort. Er konnte die Menschen beruhigen, in seinen Bann ziehen, besonders die Frauen.«
»Die Veranstaltung wird sicherlich morgen nicht stattfinden. Der Bürgermeister hat sich dementsprechend
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