Möwennest-Reihe Gesamtband (German Edition)
würde. Den hatte er nämlich spätestens bei seinem unfreiwilligen Besuch in Rotterdam verloren. Es war mehr die Enttäuschung über sich selbst und die Welt, die ihm ungerecht und schlecht vorkam.
Er hatte sein ganzes Leben lang Tiefschläge einstecken müssen, a nstatt jedoch irgendwann für seine Nehmerfähigkeiten belohnt zu werden, wurde er ein aufs andere Mal bestraft.
Und während er die Schuhe durch den Sand schlurfen ließ, einen Schritt vor den anderen setzte und sich im Schneckentempo der Bank näherte, fragte er sich, ob das Leben nicht sogar Freude daran gefunden hatte, ihn nicht loszulass en, damit er sich weiter quälte; immer und immer und immer weiter.
„Hör auf , so zu denken“, schallt ihn eine Stimme in seinem Kopf. Er verweigerte sich ihrem Befehl.
Schritt für Schritt verschwand er selbst im Nebel und drehte sich erst um, als er den Gipfelpunkt mit der Bank erreicht hatte.
Von dort oben schaute er hinunter zu Ingas Häuschen. Von hier konnte man es jetzt nicht mehr sehen. Es lag irgendwo mitten in der grauen Suppe, die sich um ihn herum ausbreitete. Er konnte umkehren. Vielleicht sollte er das sogar.
A ri war einmal mehr entwischt. So wie Harry Inga kannte, würde sie gleichwohl nicht einfach aufgeben. Sie würde sich irgendetwas einfallen lassen. Außerdem war da Monica, die junge Frau mit den roten Haaren, die ihn so fasziniert hatte. Er wusste mittlerweile, an wen sie ihn erinnerten. Eigentlich hatte er es die ganze Zeit gewusst. Sein Verstand hatte sich nur gegen die logischen Zusammenhänge gesträubt. Es hatte in seinem Leben nur eine Frau gegeben, die ihn mit ebensolchen roten Haaren in ihren Bann gezogen hatte. Und diese Frau hatte ihn vor zwanzig Jahren verlassen. Er hatte nie wieder etwas von ihr gehört und nicht den Mumm besessen, nach ihr zu suchen.
Er schüttelte den Kopf. Umkehren war keine Lösung.
Und weitergehen?
Objektiv betrachtet war das ebenfalls kein Weg.
Was also dann?
Wenn man weder vorwärts noch rückwärts kommt, dreht man sich immerzu im Kreis, ohne je irgendetwas zu erreichen.
Dieser plötzlich aufkeimende Gedanke ärgerte Harry so sehr, dass er den kleinen schwarzen Punkt, der aus dem Nichts auftauchte und durch die Nebelschwaden auf ihn zuschoss, nicht bemerkte. Erst als Harry das Kreischen hörte und das Blitzen von bösartigen roten Augen sah, reagierte er. Seine rechte Hand schnellte humorlos nach oben, griff den angreifenden Vogel aus der Luft und brach ihm zwischen Daumen und Zeigefinger das Genick.
Wie er das angestellt hatte, vermochte er nicht zu sagen. Er hatte es einfach getan.
Danach ließ er den erschlaffenden Körper durch die Finger gleiten.
Die Möwe fiel, ein dumpfes Geräusch verursachend, in den Sand.
Harry schenkte ihr keine weitere Aufmerksamkeit. Er war durcheinander und wusste endgültig nicht mehr weiter.
Sein Blick schweifte langsam einmal rundherum , und als er wieder am Ausgangspunkt angekommen war, stand dort plötzlich Ari Sklaaten.
Er schwieg und starrte Harry an. Das fettige Haar wurde vom Wind zerzaust. Mit den Verletzungen im Gesicht, die Stojics Männer ihm beigebracht hatten, wirkte er gefährlich. Und das war er ohne Frage. Zudem befand er sich hier draußen mit Harry allein. Inga und Monica waren im Haus zurückgeblieben. Niemand war ihnen gefolgt. Keiner hatte hier oben auf der Lauer gelegen. Wenn Harry hier etwas zustieß, würde niemand etwas davon mitbekommen.
Harry hatte keine Angst mehr. Alles , was ihn hätte schocken können, hatte er gesehen oder mitgemacht. Schlimmer konnte es eigentlich nicht mehr werden.
Wenn Ari ihm etwas antun wollte, nur zu, aber er sollte sich gefälligst damit beeilen, denn Harry war das Warten leid.
Sklaaten stand bloß dort, vielleicht drei Meter entfernt, schwieg und schaute ihn an.
Harry rieb sich den Nacken. Brennender Schmerz erinnerte ihn an die Stelle, an der Petr Stojics Leute ihn gestochen hatten.
„Es ist ungesund , so düstere Gedanken zu hegen. Wirkt fast so, als wolltest du die Flinte ins Korn schmeißen, Harry“, sagte Ari endlich.
„Ach, ist das so? Und was bist du? Ein beschissener Hellseher? Kannst du in meinen Kopf gucken?“
Ari brach in ein kurzes trockenes Lachen aus.
„So kö nnte man’s nennen. Erzählte dir doch, dass ich viel Zeit hatte. Ja, sehr viel Zeit, um über alles zu grübeln.“
„Das ist schön, Ari, wirklich schön“, schnaubte Harry, der keinen Schimmer hatte, was sein Gegenüber von ihm wollte.
„Auf welcher Seite
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