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Möwennest-Reihe Gesamtband (German Edition)

Möwennest-Reihe Gesamtband (German Edition)

Titel: Möwennest-Reihe Gesamtband (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Biesenbach
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Rauchsäule aus dem sich bietenden Spalt. Sie umspielte Aris Kopf und verschwand in der düsteren Nacht. Ari wankte benommen drei Schritte zurück, bis die Steilwände der Senke kein weiteres Davonlaufen mehr ermöglichten.
    „Nein! Nein!“, schrie er wie von Sinnen. „Du …“ Er streckte zitternd den Arm aus und versuchte gleichzeitig rückwärts die Senke zu verlassen. Letzteres misslang. Sein Finger deutete ins Leere. Harry runzelte die Stirn. Dort war keiner. Selbst in der Kiste selbst befand sich, abgesehen von abgestandenem schwarzen Wasser, das stank und blubberte, nichts Lebendiges. Ari war da völlig anderer Meinung.
    „Damals … du bist das Kind von damals. Das Kind … verschwinde … verschwinde … ich kann dich nicht zu deinen Eltern bringen. VERSCHWINDE!“
    Dem Wahnsinn verfallend schleuderte er das Schloss von sich, wohl in der Hoffnung, die Erscheinung, die nur er sah, zu verjagen. Es landete irgendwo hinter der Kiste im Dunkeln und verschwand aus Harrys Augen. Danach wirbelte Ari Sklaaten um die eigene Achse und sprang davon.
    Seine Flucht endete, bevor sie richtig begonnen hatte. Er mochte gerade den Rand der Senke erreicht und einige Schritte getan haben (Harry konnte es nicht genau sehen, da es zu düster war und der Strahl der Taschenlampe noch immer nur die leere Kiste ausleuchtete), da hörte man ihn jämmerlich winseln.
    „Nein … nein … bitte nicht … Lasst mich in Frieden … Habe euch nichts getan … nichts getan.“ Sekunden später stolperte er mit dem Rücken voran zu den anderen zurück, hockte sich neben Monica und keifte vor sich hin. „Nein … Nein … Lass mich … Es ist nicht … Das habe ich nie … Keine Vereinbarung … Nein … Du lügst … Du lügst.“
    Erst jetzt erwachte Inga aus dem g ebannten Schockzustand, dem sie allesamt verfallen waren, als Ari die Fassung verloren hatte. Langsam drehte sie sich und richtete die Lampe auf den Rand der Senke. Beine kamen zum Vorschein, viele Beine. Kleine und große, nackte und von zerfetzten Hosen teilweise verdeckte, faulige, grauschwarzgrünliche Beine. Faulige von Schwielen und Zersetzung gezeichnete Füße gruben sich in den nassen Sand. Der Lichtkegel wanderte unruhig weiter nach oben. Die Gestalten standen stumm Seite an Seite. Kinder und Erwachsene. Bei vielen fehlten einzelne Gliedmaßen; vorwiegend die Hände. Sie alle waren übel zugerichtet worden. Tiefe Schnitt- und Risswunden zeichneten ihre Gesichter und Hälse. Zwischen ihnen, auf ihren Schultern und Köpfen hockten die Möwen, allesamt schwarz, allesamt mit roten Augen, allesamt bösartig. Sie standen dort mit leeren Augen und rührten sich nicht. Nur eine Gestalt, eine Frau mit nahezu gänzlich verrottetem Haar und einzelnen Stoff- oder Lederfetzen am verfaulten Körper hob den Arm etwas an und trat einen Schritt nach vorne aus der Reihe. Harry packte das blanke Entsetzen, als er sah, dass ihr beide Hände fehlten, und musste einen Aufschrei ersticken. Als er außerdem das klaffende Loch im Halsbereich bemerkte, hätte er schwören können, dass der Angstschweiß, der seinen Rücken hinunterjagte, gefror und die eisige Kälte sich durch die Haut in den Körper fraß, bis sie in jede Zelle gedrungen war. Er hörte seine Zähne klappern, spürte das Zittern am ganzen Körper und war der Unfähigkeit erlegen, beides zu unterdrücken.
    Eine weiße Möwe schoss durch die Nacht am Rande des Lichtkegels und landete punktgenau auf dem ausgestreckten Armstumpf. Die Frau lachte ein schallendes totes und geradezu grotesk verzerrtes Lachen. Harry erinnerte es direkt an Sems Gelächter vorhin in Ingas Blumenladen.
    Margareta van Buuren, dachte er und brauchte, um sich dieser Vermutung sicher zu werden, nicht einmal die Bestätigung einer Gedanken lesenden Inga Heemstedde. Es lag auf der Hand, obwohl diese Phrase angesichts der fehlenden Gliedmaßen der Frau geradewegs zu einem schrecklichen Witz verkam. Nichtsdestoweniger: Sie war es. Sie musste es sein. Sie war der Fluch von Westenschouwen, der Fluch der Sandbank, der Möwenfluch. Van Buuren nickte der weißen Möwe zu, die breitete die Flügel aus und flatterte zu den übrigens Vögeln. Und während die tote Frau - in beinahe majestätischer Anmut (störend fiel nur das morsche Knirschen ihrer Knochen bei jedem Schritt auf) - in die Senke hinabstieg, stürzten sich die schwarzen Tiere auf den weißen Vogel. Die Möwe hatte keine Chance und verschwand unter einem Haufen ihrer Artgenossen.
    „In der Welt ist

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