Möwennest-Reihe Gesamtband (German Edition)
hereingebrochen. Aber nicht nur draußen war es düster und wolkig geworden, auch auf seinem Gemüt lag ein weiter Schatten.
Ingas Stimme hallte in seinem Kopf nach. Sie wiederholte immer wieder die gleichen Sätze. Worte, die er nie wieder vergessen sollte, auch wenn sie ihn letztlich nicht von seinem Plan abbringen würden …
29. Juni 2012, Restaurant Het Meeuwennest
Es war viel Zeit vergangen seit dem Gespräch mit der guten Inga Heemstedde und doch kam es Ari Sklaaten in diesem Moment vor, als wäre es erst vor wenigen Tagen gewesen. Er erinnerte sich an jedes Detail dieser Begegnung.
„Ein Fluch lastet auf diesem Ort“, wisperte Ingas Stimme hinter seiner Stirn. Sie hatte trotz der Jahre, die inzwischen vergangen waren, nichts von ihrer Deutlichkeit verloren.
„Selbst wenn man besitzt, wovor es sich am meisten fürchtet, kann man es nicht ewig kontrollieren. Zu viele Menschen sind gestorben. Tun Sie uns das nicht ein zweites Mal an. Wenn man es aufweckt und es außer Kontrolle gerät, stürzt alles ins Unglück. Wenn es einen packt, lässt es einen nie wieder los.“
Die Worte waren alt, ihre Botschaft jedoch hatte überdauert.
Es war außer Kontrolle geraten, aber Ari Sklaaten war bis zuletzt geblieben. Regen peitschte, der Sturm zerrte an ihm. Ein Blitz zuckte hell über den schwarzen Nachthimmel. Ein paar Meter entfernt stand der Angreifer. Einen anderen hatte er noch niederstrecken können, dieser hier hätte ihn beinahe über das brüchige Geländer seines eigenen Restaurants geworfen. Im letzten Moment hatte er sich fangen können. Der Sturm um ihn herum wütete. Zehn Meter tiefer krachte das aufgebrachte Meer gegen die Stützpfeiler des Gebäudes. Der dicke Kerl drei Meter entfernt atmete schwer. Ari wusste, wer er war. Er wusste auch, dass dieser Mann nicht hier sein wollte und dass er Angst hatte. Er kannte jedes Detail, das Harry Romdahls Leben in den letzten zehn Jahren ausgemacht hatte. Ari hatte Harry beobachtet, so wie dieser Ari und sein Restaurant beobachtet hatte. Sklaaten wusste, dass Harry kein schlechter Mensch war, aber das änderte jetzt gar nichts mehr. Mit dem Erscheinen der beiden Männer in dieser Nacht war es teilweise aus seinem unsichtbaren Gefängnis ausgebrochen. Jahre hatte er sein Bestes gegeben, das Unglück abzuwenden, auch wenn das immer schwieriger geworden war. Er hatte alles unter Kontrolle gehabt, aber diese Idioten hatten die Möwen aufgeschreckt, die Falltür geöffnet und den Bann gebrochen. Jetzt war es nur noch an die Sandbank gefesselt und zornig. So wie damals, bevor er mithilfe von Inga Heemsteddes Informationen und den dafür notwendigen Utensilien dem ganzen Spuk Einhalt geboten hatte.
In diesem Augenblick allerdings war er machtlos. Er hörte die ihm vertraute Stimme in seinem Kopf. Bis jetzt hatte er ihr widerstehen können, aber die mentale Barriere, die er über Jahre aufgebaut hatte, bröckelte. Der Gegenstand, der Schutz geboten hätte, war außer Reichweite. Er hatte ihn an einen, so glaubte er, sicheren Ort gebracht.
„Vorbei … Schutzlos …und doch … bist hier geblieben …“, krächzte die Stimme in seinem Kopf. „Kann‘s nicht seh’n … Wo ist’s? ... So lange gewartet … Wo ist, wonach ich such‘?“
Ari versuchte nichts zu sagen, doch es zwang ihn zu einer Antwort.
Die innere Barriere war zerstört. Er spürte, wie der Widerstand endgültig brach.
Es war jetzt mitten in seinem Kopf.
Ich habe es versteckt, damit du es nie findest , dachte er.
„Versteckt?“ antwortete die Stimme zornig. „Versteckt! Versteckt! Versteckt! Hol es mir zurück!“
Nein, diesmal nicht.
„Verräter! Verräter! Verräter! Der Pakt ist nichtig! Brenne! Verbrenne! Verräter! “
Schmerzen durchzuckten Ari. Binnen Sekunden brachte ihn das um den Verstand.
Er schrie, konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen, verlor das Gleichgewicht und wankte. Seine Gliedmaßen zitterten unkontrolliert. Tausende unsichtbare Nadeln bohrten sich in seine Brust, Arme, Beine und den Kopf. Unerträgliche Hitze dann eisige Kälte. Der Schmerz flutete durch jede Faser seines Körpers. Ari hielt dem nicht länger stand. Die Ohnmacht schwappte heran, um sein Bewusstsein zu ertränken.
„Wo ist’s?“ wiederholte die tote Stimme immer wieder. Sie drängte ihn, wurde lauter, ungeduldiger. Am Ende schrie sie so laut in seinem Kopf, dass er kaum noch etwas anderes wahrnahm. Er antwortete nicht, konnte nicht mehr, würde nichts mehr sagen. Er
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